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«Niemand sollte darauf verzichten, ins Spital zu gehen»

Zuletzt aktualisiert am 19. Juli 2021 Erstmals publiziert am 27. November 2020

Kürzlich war eine Warnung von Pharmaherstellern zu lesen: Die Corona-Welle könnte eine unerwartete Konsequenz haben. Krebserkrankungen würden nicht rechtzeitig entdeckt, es drohe eine «Krebs-Epidemie». Was ist da dran und wie sind die Erfahrungen am USZ?

Jürg Hodler, Sie sind ärztlicher Direktor des USZ und Chef der Radiologie. In der Radiologie werden viele Krebs-Vorsorgeuntersuchungen gemacht. Lassen sich am USZ auch weniger Menschen vorsorglich untersuchen?
In der Radiologie haben wir festgestellt, dass die Untersuchungszahlen während des Lockdowns der ersten COVID-19-Welle deutlich abgenommen haben, was gut nachvollziehbar ist. Die Patientenzahlen haben sich über den Sommer zunehmend erholt und Mitte Oktober das Niveau vor COVID-19 im Januar erreicht. Dies gilt auch für die Vorsorgeuntersuchungen. Wir haben aber den Ausfall des Lockdowns nicht kompensiert, so dass die Vorsorge mindestens vorübergehend sicher schlechter war. Andere Kliniken, die sich an der Vorsorge beteiligen, sehen ähnliche Bewegungen, zum Beispiel Pneumologie, Kardiologie oder Gastroenterologie. Fest steht aber, dass Betroffene weder Vorsorgeuntersuchungen noch die notwendige Betreuung bei chronischen Erkrankungen ausfallen lassen sollten.

Haben die Patientinnen und Patienten Angst, ins Spital zu kommen?
Weshalb weniger Menschen ins Spital gekommen sind, wissen wir nicht ganz genau. Aber wir haben festgestellt, dass viele Vorsorgeuntersuchungen – nicht nur bei Krebs – aufgeschoben oder sogar ausgelassen wurden. Das kann unter Umständen verheerend sein. Die Menschen sollten keine Angst davor haben, ins Spital zu kommen. Sie sind hier sehr gut geschützt. Wir unternehmen alles, damit sich im Spital niemand mit COVID-19 ansteckt. Darum gelten strenge Hygienemassnahmen. Nicht nur für die Mitarbeitenden, sondern auch für die Patientinnen und Patienten sowie Besucherinnen und Besucher.

Kann man nicht zufällig einem Corona-positiven Menschen begegnen im Spital und sich dabei anstecken?
Im Spital ist man sehr gut geschützt, insgesamt sogar viel besser als an vielen anderen Orten. Weshalb? Weil es am USZ zum Beispiel für Mitarbeitende, Patientinnen und Patienten und Besucherinnen und Besucher separate Eingänge gibt. Weil die Maskenpflicht für alle gilt und zwar schon seit März. Weil wir sämtliche stationären Patientinnen und Patienten beim Eintritt auf Sars-CoV-2 testen und bei einem positiven Befund isolieren. Nächste Woche werden wir darüber entscheiden, ob unsere Patientinnen und Patienten nicht nur vor Eintritt auf das Coronavirus getestet werden, sondern in regelmässigen Abständen auch während ihres Aufenthalts bei uns. Um zufällige Kontakte zu vermeiden, befindet sich zudem das Corona-Testzentrum an einem separaten Gebäude mit direktem Zugang von der Strasse. Das Risiko, sich am USZ mit Corona anzustecken, können wir zwar nicht vollständig ausschliessen. Aber es ist extrem klein. Das USZ betreibt seit Anfang Oktober sein grosses ambulantes Zentrum am Flughafen und seit einigen Jahren ein Bildgebungsinstitut in Wollishofen. Dort gelten die gleichen Vorsichtsmassnahmen wie am Zentrum, auch wenn dort keine stationären Behandlungen stattfinden.

In welchem Fall sollte man unbedingt zum Arzt oder ins Spital?
Es sollte grundsätzlich niemand darauf verzichten, ins Spital zu gehen, sei es wegen eines akuten medizinischen Problems, ihm Rahmen einer bereits laufenden Behandlung oder im Sinn der Vorsorge. Das Risiko einer verschleppten Behandlung ist um ein Vielfaches grösser als jenes, sich im Spital zu infizieren.