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«Ich führe ein ganz normales Leben – mit Sklerodermie»

Zuletzt aktualisiert am 04. August 2021 Erstmals publiziert am 29. Juni 2020

Nadine Fischer (27) weiss seit März 2019, dass sie an Sklerodermie leidet. Dank gut eingestellten Medikamenten und einer optimistischen Haltung lebt sie gut mit der seltenen Erkrankung.

Portraitfoto Nadine FischerSklerodermie oder Systemische Sklerose ist eine seltene Form entzündlichen Rheumas aus der Gruppe der Bindegewebskrankheiten. Bei betroffenen Personen werden Zellen des Bindegewebes überaktiv und bilden haufenweise Kollagenfasern, die das Gewebe verkleben, verdicken und verhärten. Weil Kollagen in allen Organen vorkommt, können alle Organe des Körpers betroffen sein. Zwischen 1500 und 2000 Menschen in der Schweiz leiden an dieser Autoimmunerkrankung. Eine davon ist Nadine Fischer: «Im Oktober 2018 habe ich gemerkt, dass ich meine Hände nicht mehr zu einer Faust formen kann». Die Coiffeuse dachte, dass das von der Ernährungsumstellung herrühre, die sie 2018 begonnen hatte. «Ich dachte, ich leide an einem Mangel. Meine Hände waren ganz hart und steif». Sie ging zur Hausärztin, die ihr eine Physiotherapie verschrieb. Ohne Erfolg. Im November bemerkt Nadine Fischer, dass ihre Hände ganz blau und ständig kalt sind – Symptome des Raynaud-Syndroms (vgl. Box), wie sie heute weiss. Jetzt überweist sie die Hausärztin an einen Spezialisten. Dieser schickt sie direkt ins USZ.

Raynaud-Syndrom

Das Raynaud-Syndrom ist eine Gefässerkrankung. Durch Krämpfe – meist in den Fingern und Zehen – wird die Blutzufuhr des betroffenen Gebietes vermindert. Finger und Zehen verfärben sich blass, blau oder rötlich. Häufig schmerzen sie dann. Das Raynaud-Syndrom ist oft eines der frühesten Symptome einer systemischen Sklerose.

Diagnose war ein Schock

«Am USZ wurde ich auf Herz und Nieren untersucht», erinnert sich Nadine Fischer. «Als mir die Ärztin mitteilte, was ich habe, war es ein Schock.» Eine seltene Krankheit. Nicht heilbar. Viele verschiedene Ausprägungen. Im schlimmsten Fall kann man daran sterben. «Bei der Diagnose wollte ich es gar nicht so genau wissen, um mich nicht verrückt zu machen», schildert Nadine Fischer. «Anfangs habe ich im Internet recherchiert und Dinge nachgelesen. Das habe ich dann aber schnell gelassen, weil man viele schlimme Dinge dazu findet. Ich bin froh, habe ich nur eine milde Form der Krankheit». Die Fachpersonen diagnostizierten zuerst auch einen entzündeten Herzmuskel bei Nadine Fischer: «Das war heftig. Da dachte ich: Das ist es jetzt». Diese Vermutung hat sich zum Glück aber nicht erhärtet.

Therapie wirkt sehr gut

Im April 2019 beginnt Nadine Fischer mit der Therapie: Immuntabletten und Hand-Übungen im Paraffinbad für eine bessere Durchblutung der Hände. «Die Therapie hat schnell gewirkt», sagt sie. «Jetzt kann ich schon fast wieder eine Faust bilden». Zu Beginn haben die Immuntabletten bei Nadine Fischer einen starken Muskelkater ausgelöst. Das ist eine bekannte Nebenwirkung. «Ich konnte teilweise nicht mehr richtig gehen vor lauter Muskelkater». Seit sie dagegen jeden Tag Magnesiumpulver einnimmt, hat sie keine Nebenwirkungen mehr. «Ich bin ein positiver Mensch», findet Nadine Fischer. Die Krankheit zeigt sich bei ihr nicht nur an den Händen. Auch ihre Füsse sind vom Raynaud-Syndrom betroffen. Ihre Haut ist an unterschiedlichen Stellen verhärtet und zusammengezogen. Und ihre Speiseröhre ist erweitert. Trotzdem arbeitet sie, macht Pilates, spielt Trompete, schmeisst den Haushalt und erledigt Gartenarbeit. «Ich lasse mich von dieser Krankheit nicht einschüchtern».

Drei Fragen an Prof. Dr. med. Oliver Distler, Direktor der Klinik für Rheumatologie

Oliver Distler, wie viele der Sklerodemie-Betroffenen haben starke Ausprägungen?

Das Spektrum ist sehr breit. Es gibt Betroffene, die kaum etwas von der Krankheit merken und bei denen sich auch im Krankheitsverlauf nicht viel ändert. Erhält jemand die Diagnose Sklerodermie, kann er oder sie nicht voraussagen, ob die Krankheit einen schweren Verlauf haben wird. Dafür braucht es dann die Expertenberatung. Viele Betroffene haben Symptome; mit milden Einschränkungen im Alltag bis hin zu merklichen Einschränkungen, die die Alltagverrichtungen erschweren. Wenn die Organe stark betroffen sind und die Therapien nicht gut anschlagen, kann die Krankheit in Einzelfällen auch zum Tode führen. Zum Glück sind das mit den heutigen Möglichkeiten die Ausnahmen.

Wie wirken die Immuntabletten bei Sklerodermie?

Die Verhärtung der Haut entsteht durch eine Mehrproduktion von Bindegewebe. In manchen Krankheitsstadien und bei einigen Organmanifestationen wird die Bindegewebsverdickung durch eine Entzündung des Gewebes angetrieben. Mit den Immuntabletten versucht man, diesen Antreiber der Bindegewebsverhärtung abzuschalten. Es hängt aber vom Wirkmechanismus der Immuntablette ab, ob sie an den richtigen Stellen der Entzündung angreift und bei Sklerodermie helfen kann.

Weshalb kann man die Krankheit nicht heilen?

Man muss sich das so vorstellen: Es gibt wahrscheinlich mehrere Auslöser, die bei einigen Menschen unter bestimmten Voraussetzungen die Krankheit auslösen können. Würde man diese Auslöser und Voraussetzungen kennen, könnte man die Krankheit verhindern, bevor sie ausbricht. Das wäre ideal. Leider kennt man diese Auslöser und Bedingungen nicht oder nur sehr ungenau. Ist die Krankheit einmal ausgebrochen, kommt es zu Entzündungen, die wiederum die Bindegewebsbildung aktivieren. Diese Aktivität der Erkrankung soll unterdrückt werden, z. B. mit den oben beschrieben Immunmedikamenten. Damit verhindert man, dass die Krankheit weiter fortschreitet. Das gelingt oft nicht komplett, die Krankheit wird nur abgebremst. Wenn sich das Bindewebe einmal abgelagert hat, ist es sehr schwierig, es wieder komplett zu entfernen. Der Organschaden bleibt bestehen, die Krankheit ist immer noch zu sehen. Heilbar ist sie leider nicht.

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