Story

Professionelle Pflege hat viele Facetten

Zuletzt aktualisiert am 05. Januar 2022 Erstmals publiziert am 22. April 2020

Was bei den Arztberufen schon lange der Fall ist, schreitet bei Pflegefachpersonen seit einigen Jahren mit grossen Schritten voran: die vielfältige fachliche Spezialisierung.

Weltweit werden in Zukunft 80 Prozent der Gesundheitsleistungen für Menschen mit chronischen Erkrankungen erbracht. Mit der wachsenden Gruppe alter Menschen nehmen Demenz- und Mehrfacherkrankungen stark zu. Folglich erhöht sich die Komplexität der Patientensituationen und die Anforderungen an die Pflege steigen. Deshalb wird die Aus- und Weiterbildung für Pflegefachpersonen immer spezialisierter.

Wer einen Abschluss als «dipl. Pflegefachfrau/-mann HF» hat, kann ein Bachelor- oder Masterstudium in Pflege an einer Fachhochschule abschliessen. Akademisch geht es sogar noch weiter: An den Universitäten Basel und Lausanne gibt es Doktoratsstudiengänge für Pflegefachpersonen. Sie bereiten auf Führungs- und Leitungsfunktionen in der Forschung, Lehre und Praxis vor. Die Absolvent*innen leisten einen zentralen Beitrag zur fachlichen Entwicklung der Pflege und erarbeiten innovative Lösungen für herausfordernde Gesundheitsprobleme.

Laufbahnmöglichkeiten im Spital

Das USZ bietet allen Pflegenden vielfältige Entwicklungsmöglichkeiten. So gibt es beispielsweise seit 2011 ein Laufbahnmodell für Pflegefachpersonen. Sie können sich für eine Fach-, Führungs- oder Bildungslaufbahn entscheiden. Das Modell hat acht Stufen. Entwicklungsmöglichkeiten bestehen sowohl innerhalb eines Pfades – Fach, Führung oder Bildung – als auch innerhalb einer Stufe. Dabei ist es möglich, zwischen den drei Pfaden zu wechseln. Dadurch entstehen sehr individuelle Laufbahnmöglichkeiten. Seit 2016 gibt es ergänzend zum Laufbahnmodell ein systematisches Talentförderungsprogramm und seit 2017 eine gezielte Leadership-Entwicklung mit der spitaleigenen Weiterbildung „CAS Leadership USZ“. Angesprochen sind dabei Fachpersonen, die eine Führungslaufbahn anstreben oder Personen, die gerade eine Führungsaufgabe übernommen haben und gezielt mehr Leadership- und Handlungskompetenzen aufbauen möchten.

Hochspezialisierte Funktionen

Weshalb braucht es diese hochspezialisierten Funktionen in der Pflege? Studien haben gezeigt, dass akademisch ausgebildete Pflegefachpersonen einen messbaren Nutzen für Spitäler erbringen (1). So weisen beispielsweise Krankenhäuser, in denen das Pflegepersonal jeweils weniger Patient*innen betreut und mehr Mitarbeitende einen Bachelor-Abschluss haben, eine signifikant niedrigere Sterblichkeitsrate auf als Spitäler, in denen das Pflegepersonal mehr Patienten betreut und weniger Pflegende einen Bachelor-Abschluss haben.

Was gibt es für spezifisch ausgebildete Pflegefachpersonen? Zwei Beispiele: Inhaberinnen eines «Masters of Science in Pflege» können die Rolle einer Advanced Practice Nurse (APN) ausüben. Sie sind auf eine bestimmte Patientengruppe oder auf ein Krankheitsbild spezialisiert. Am USZ arbeiten insgesamt 47 APNs, eine davon als «APN Psychische Gesundheit». Sie hat spezifisches Fachwissen bezüglich psychischer Erkrankungen und steht Patient*innen mit einer psychiatrischen Diagnose und deren Familien als Ansprechperson zur Verfügung. Zudem unterstützt sie das Behandlungsteam dabei, Patient*innen mit psychiatrischen Diagnosen bedürfnisgerecht zu versorgen.

Das zweite Beispiel: Die Forensic Nurse. Sie arbeitet an der Schnittstelle zwischen Notfallpflege, medizinischer Versorgung und Rechtssystem. Ihre Fachexpertise ist gefragt, wenn Patient*innen Gewalt erlitten haben oder Opfer eines Verbrechens geworden sind. Die Forensic Nurse stellt sicher, dass Beweismaterial für gerichtliche Zwecke erhalten bleibt. Sie erstellt eine Dokumentation der Verletzungen und führt einen DNA-Abstrich durch. Zudem gewährleistet sie, dass Betroffene über ihre Rechte Bescheid wissen.

Weitere Beispiele für spezialisierte Rollen sind unter anderem «Breast and Cancer Care Nurse» oder APNs, die Pflegesprechstunden leiten, beispielsweise für Patient*innen nach Leber- oder Nierentransplantation. Die Vielzahl der Spezialisierungen zeigt, wie vielfältig der Pflegeberuf ist – und welche unterschiedlichen Möglichkeiten er bietet.

 

(1) Aiken, L. et al. (2014). Nurse staffing and education and hospital mortality in nine European countries: a retrospective observational study. Lancet, 383(9931): 1824–1830.

 

3 Fragen an Mirella Palamar, APN Psychische Gesundheit

Advanced Practice Nurse (APN) sind auf eine bestimmte Patientengruppe oder auf ein Krankheitsbild spezialisiert. Mirella Palamar arbeitet am USZ als «APN Psychische Gesundheit».


Mirella Palamar, was hat Sie dazu bewegt, sich zur Advanced Practice Nurse «Psychische Gesundheit» weiterzubilden?
Die Psychologie faszinierte mich schon immer. Deshalb habe ich die Ausbildung als Pflegefachfrau mit Schwerpunkt Psychiatrie abgeschlossen. Im Laufe der Jahre konnte ich viele Erfahrungen in verschiedenen psychiatrischen Settings sammeln und mein Repertoire erweitern.

 

Wie unterscheidet sich Ihr Arbeitsalltag von dem Ihrer Kolleginnen und Kollegen?
In einem Akutspital ist die Pflege darauf fokussiert, körperliche Veränderungen wahrzunehmen und für das körperliche Wohlbefinden der Patienten zu sorgen. Der Fokus meiner Arbeit liegt in der Schulung und Sensibilisierung der Pflegenden im Umgang mit psychisch erkrankten Menschen. Dazu gehört, den Pflegenden die Lebenswelt der psychisch kranken Menschen näher zu bringen, sie über das Krankheitsbild zu informieren und ihnen den Umgang mit psychisch Erkrankten vorzuzeigen. Ich lebe ihnen vor, diese Menschen ohne Vorurteile und Angst zu betreuen und verstehen zu lernen. Um dies gewährleisten zu können, ist auch die eigene Belastbarkeit der Pflegenden wichtig. Darum führe ich oft Fallsupervisionen durch, um die Selbstreflexion der Pflegefachpersonen zu stärken und um ihnen einen Austausch zur eigenen Psychohygiene zu ermöglichen. Auch unterstütze ich die Pflege bei der Austrittsplanung von psychisch instabilen Menschen. Dies geschieht in enger Zusammenarbeit mit den Ärzten und Psychologen des Psychiatrischen Konsiliar- und Liaisondienstes. Und nicht zuletzt berate und betreue ich Angehörige in Krisen- oder Überforderungssituationen.

Was bringt das den Patientinnen und Patienten?
Jeder Mensch ist verletzlich, sobald er in ein Spital eintreten muss. Gefühle von Ohnmacht, Unsicherheit und Angst können aufkommen. Psychisch erkrankte Menschen fühlen sich noch ausgelieferter diesbezüglich. Sie erleben alles intensiver. Bei dieser Patientengruppe kann es
auch unerwartet zu Hospitalisationen kommen. Besonders herausfordernd kann auch der Spitalaufenthalt nach Suizidversuchen mit anhaltender Suizidalität sein. Oder es gibt ausgesprochen lange und komplikationsreiche Verläufe bei somatischen Erkrankungen und Behandlungen. Durch die Sensibilisierung der Pflegenden wird die Patientengruppe besser betreut, die Angehörigen werden mehr einbezogen und besser beraten. Sie haben eine Ansprechperson, die auf ihre Emotionen eingeht und diese erfragt.

Wie Pflege heute aussieht, was sie leistet und wie vielfältig sie ist, werden wir Ihnen in den kommenden Wochen in verschiedenen Beiträgen online und offline vorstellen. Wir wissen weiter – auch in der Pflege.