Delir

Story

Delir: Schilderungen einer Patientin

Zuletzt aktualisiert am 01. Juli 2021 Erstmals publiziert am 11. März 2019

Weshalb Patientinnen und Patienten ein Delir erleiden, ist nach wie vor zu wenig bekannt. Doch Pflegende und Ärzte müssen sich fast täglich mit dem Thema auseinandersetzen. Am USZ wurde 2013 ein einheitliches Delirmanagement eingeführt. Genauso wichtig für die tägliche Arbeit sind aber Erfahrungsberichte. Wir haben mit einer betroffenen Patientin gesprochen.

Anja B., damals 48 Jahre alt, fiel nach einer Lebertransplantation am USZ während drei Tagen ins Delir. «An das Delir kann ich mich leider noch sehr genau erinnern.»  Sie erinnert sich «Ich weiss noch genau, wie ich mich damals gefühlt habe: gar nicht gut.»

Um einem Delir vorzubeugen, es frühzeitig zu erkennen und zu behandeln, hat die Direktion Pflege und MTTB im Jahr 2011/12 in interprofessioneller Zusammenarbeit ein Pilotprojekt durchgeführt. Dabei wurde eine Delirmanagement-Richtlinie entwickelt und auf neun Abteilungen getestet. Der Nutzen des systematischen Delirmanagements konnte nach der Evaluation eindeutig nachgewiesen werden. Seit 2013 kommt es fast im gesamten Spital zum Einsatz.

Zwischen Realität und Albtraum

Anja B. erinnert sich: «Als ich aufwachte, war alles dunkel, und ich befand mich in einem Raumschiff. Da wurde mir schnell klar, dass ich einen Albtraum habe.» Als sie das nächste Mal erwachte, war es erneut dunkel um sie. Dieses Mal befand sie sich vermeintlich in einem Forschungslabor. Das und der Fakt, dass sie sich nicht bewegen konnte, obwohl sie nirgends fixiert war, kamen ihr seltsam vor. «Man sagte mir, ich sei operiert worden. Aber ich war gesund, und mir tat überhaupt nichts weh. Da kam mir der Gedanke, dass die anwesenden Personen mich umbringen wollten.»

«Das ist typisch für delirante Patienten. Sie haben oft extreme Ängste und fühlen sich von den Menschen in ihrer Umgebung aufs Stärkste bedroht», schildert Jutta Ernst. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Klinische Pflegewissenschaft und leitet die interprofessionelle Fachgruppe Delir am USZ.

Früh erkennen und rasch eingreifen

Die Fachgruppe besteht aus einem Geriater, einem Psychiater, einer Neurologin, aus Pflegefachpersonen aus den verschiedenen Medizinbereichen und einer Ergotherapeutin und setzt das Delirmanagement am USZ um. Dieses baut auf den drei Säulen Prävention, Früherkennung und Frühbehandlung auf. Kompetenzen, Entscheidungen und Diagnostik sind eindeutig geregelt und beschrieben. So werden zum Beispiel gefährdete Patienten systematisch gescreent, und es werden präventive Massnahmen eingeleitet. Teil des Delirmanagements ist auch eine Broschüre, die Angehörige im Umgang mit den Betroffenen unterstützt.

«Meine Angehörigen wurden sofort über meinen Zustand aufgeklärt. Vor jedem Besuch wurden sie informiert, wie meine letzte Nacht war, was für den Tag geplant wurde, was sie erwartet, wenn sie mich sehen, und was die nächsten Schritte sind», erzählt Anja B.

Über die Entstehung ist wenig bekannt

Trotz häufigem Auftreten und vielen Studien zum Thema ist über die Pathophysiologie bzw. die neurobiologischen Grundlagen der Entstehung des Delirs immer noch wenig bekannt. Wahrscheinlich, weil viele verschiedene Faktoren zum Auftreten eines Delirs führen. In der Regel ist es das Zusammenspiel zwischen einer erhöhten Vulnerabilität (Alter, Seh- und Hörbehinderung usw.) und der gleichzeitigen Exposition gegenüber «delirogenen», also Delir-begünstigenden Faktoren. Dazu gehören zum Beispiel operative Eingriffe, Infektionen, eine fremde, laute Umgebung, Dauerkatheter oder auch delirogene Medikamente.

«Bei Anja B. war der Auslöser vermutlich die hepatische Enzephalopathie (Leber-Hirn-Störung) bzw. die dann folgende Lebertransplantation», schildert Assistenzarzt Dilmurodjon Eshmuminov, der Anja B. damals behandelt hat. Anja B. ist nur eine von vielen betroffenen Patientinnen und Patienten: 2018 wurde am USZ bei 1443 Patienten ein Delir diagnostiziert. Diese hatten eine durchschnittliche Verweildauer von 19,9 Tagen, wohingegen nicht delirante Patienten im Durchschnitt 7,3 Tage am USZ blieben. «Ein Delir ist sehr kostenintensiv und auch DRG-relevant. Es führt zu einem längeren Klinikaufenthalt sowie erhöhter Morbidität und Mortalität», führt Jutta Ernst aus. Die Mortalitätsrate bei den deliranten Patienten lag bei 9,8 % (bei nicht deliranten bei 2,8 %).

Die Delirbehandlung ist personalintensiv und stellt eine belastende Situation für Patienten, Angehörige und das Behandlungsteam dar. Eine Vielzahl der Patienten beschreibt ihren Zustand während des Delirs als einen nicht enden wollenden Albtraum. So auch Anja B.: «Das Delir war wirklich eine beängstigende Erfahrung, die ich aber mittlerweile, dank meiner Familie und meines Humors, gut verarbeitet habe. Das Einzige, was geblieben ist: eine Aversion gegen orange Vorhänge – das erinnert mich an die Intensivstation.»