Die Weihnachtstage möchte niemand im Spital verbringen. Nicht so Spitalseelsorgerin Margarete Garlichs: Sie arbeitet an diesen Tagen sogar besonders gern. Was die Sorgen der Patientinnen und Patienten sind und weshalb sie über die Festtage gerne arbeitet, erzählt sie im Interview.
Frau Garlichs, wie erleben Sie die Weihnachtszeit im USZ?
Ich arbeite an Weihnachten sehr gerne, es ist eine ganz besondere Zeit als Spitalseelsorgerin. Interessant ist: Die Adventszeit und die Weihnachtsfeiertage unterscheiden sich stark, was die Atmosphäre und die Gemütslage der Patienten und Patientinnen angeht.
Inwiefern?
In der Adventszeit werden wir deutlich häufiger gerufen als sonst. Die Gespräche sind oft länger und tiefgründiger. Der Advent ist für Patienten eine sehr schwierige Zeit, in der sie stark mit ihrer Situation hadern. Eigentlich sollte die Welt dann in Ordnung sein, man sollte Plätzchen backen, den Adventskalender bestücken. Advent ist Familienzeit, Sehnsuchtszeit. Aber für die Patientinnen und Patienten ist die Welt gar nicht in Ordnung. Sie verpassen diese Zeit mit der Familie oder den Menschen, die ihnen wichtig sind.
Worüber sprechen die Patienten mit Ihnen?
Über ihre Enttäuschung, das Gefühl, die Familie in dieser Zeit im Stich zu lassen. Aber auch über praktische Fragen. Zum Beispiel, wie man noch Geschenke organisieren kann. Wir haben nun mal eine Heile-Welt-Vorstellung von Weihnachten. Obwohl die Weihnachtsgeschichte selbst ja alles andere als eine Idylle beschreibt.
Eine beschwerliche Reise, keine Herberge, eine Geburt im Stall.
Genau. Auf diese Brüchigkeit, diesen Widerspruch mache ich beim Weihnachtsgottesdienst in der Spitalkirche sehr gerne aufmerksam. Und dennoch: So widrig die Umstände auch waren, die Weihnachtsgeschichte eröffnet die Chance, bestimmte Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. Wie Liebe und Frieden auf Erden, auch heute. Um ein Zeichen zu setzen, bringe ich gerne das Friedenslicht von Bethlehem in den Gottesdient. Trotz der schwierigen Ausgangslage beschreibt die Weihnachtsgeschichte auch heilige Momente, eine besondere Atmosphäre. Auch die Weihnachtstage im Spital sind dann besonders.
Warum?
Der Betrieb ist reduziert, viele Patienten dürfen kurzzeitig nach Hause. Diejenigen, die bleiben, wünschen selbst Fremden „Frohe Weihnachten“. Alle sind auf positive Weise empfindsamer, wollen auch spirituell satt werden. Und nachdem sich die Patientinnen und Patienten damit abgefunden haben, die Feiertage im Spital zu verbringen, sind sie oft überrascht, wie gut sie mit ihren Angehörigen feiern konnten. Wie gut dieser Plan B funktioniert.
Sie arbeiten auch in der Klinik für Geburtshilfe und der Neonatologie, wo Frühchen teils um ihr Leben kämpfen. Ist die Geburtshilfe ein besonderer Ort zu Weihnachten?
Auf der Neonatologie ist der Zustand der Kinder sehr unterschiedlich. Für die Eltern steht in der Regel fest, dass sie Weihnachten beim Kind verbringen wollen. Im Wochenbett überwiegt dann die pure Freude. Wenn sich der gebrechliche Schwiegervater über das Neugeborene beugt, erinnert das schon mal an den Besuch der Heiligen drei Könige. In der Vorweihnachtszeit spielt auch eine Harfenistin vom Opernhaus auf der Station Weihnachtslieder. Es hat etwas Berührendes, wenn die Frauen mit den Neugeborenen zu „Ihr Kinderlein kommet“ im Gang stehen. Eltern erleben auf der Geburtsstation praktisch ihre eigene Weihnachtsgeschichte. Auch wenn später der Kindergeburtstag und Weihnachten zusammenfallen. Ich bekam einmal eine Geburtsanzeige, auf der stand: „3250 Gramm verändern die Welt“. Das stimmt.
Text: Cornelia Krause / www.reformiert.info
Im USZ ist Margarete Garlichs seit 2003 eine von sechs reformierten Spitalpfarrern und -pfarrerinnen. Sie betreut die Patientinnen der Gynäkologie, der Klinik für Geburtshilfe sowie Eltern, deren Kinder auf der Neonatologie liegen. Die Seelsorgerin mit deutschem und Schweizer Pass stammt ursprünglich aus Münster (D). Sie studierte in Tübingen und Berlin evangelische Theologie. Ihre zweijährige Ausbildung zur Klinikseelsorgerin machte sie in einem Spital in New Jersey, USA.
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