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Angst als wichtiges Gefühl

Zuletzt aktualisiert am 15. Juni 2022 Erstmals publiziert am 04. Februar 2022

Fast die Hälfte der Menschen mit einer Krebserkrankung leidet zeitweise unter starken Ängsten. Von Bewegung bis zur psychoonkologischen Therapie gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten, mit dieser wichtigen Emotion umzugehen.

Fakten

Über die Hälfte der Menschen, die sich mit einer Krebserkrankung auseinandersetzen müssen, sind erheblich gestresst. Und praktisch alle sind über kurze oder längere Strecken überfordert.

Angst ist die Emotion, die dabei am meisten dominiert: Man fühlt sich verunsichert, bedroht, ausgeliefert. Angst kann als Gefühl wahrgenommen werden oder sich als scheinbar rein körperliches Symptom zeigen, beispielsweise mit Herzklopfen, Durchfall oder anderen Symptomen. Sie tritt bei Menschen mit Krebs so häufig auf, dass jemand, der angesichts dieser Erkrankung gar nie Angst verspürt, eher ungewöhnlich ist.

Selbst wenn der Krebs und die Behandlung überstanden sind, bleibt oft diese «kleine, störende, nagende Sorge: Kommt die Krankheit zurück?», wie es ein Krebsspezialist formulierte, der selbst einmal an Krebs erkrankt war. Noch Jahre nach Diagnose berichten viele Betroffene von dieser «Progredienzangst», dass also der Krebs voranschreiten könnte oder dass er womöglich zum Tod führt. Auch wenn diese Angst im Lauf der Zeit bei fast allen abnimmt, kann sie zu vielen unnötigen Sorgen führen, weil die Gedanken immer um die Frage kreisen «Was wäre, wenn …?»

Angst als sinnvolle Reaktion

Einer bis zwei von drei Betroffenen hat über Jahre hinweg immer wieder diese Angst vor einem Rückfall. Sie kann so gross sein, dass gute Nachrichten – wenn etwa bei einer Kontrolluntersuchung alles bestens ist – den Betroffenen dennoch nicht beruhigen.

Eigentlich ist Angst etwas sehr Sinnvolles: Sie warnt vor Gefahren, bei denen man zu Schaden kommen könnte und mobilisiert Kräfte. Nimmt sie aber überhand, kann sie lähmen, einsam machen, die Lebensqualität verringern, erschöpfen und wichtige Entscheidungen ungünstig beeinflussen.

Menschen begegnen der Angst auf verschiedenste Art, zum Beispiel, indem sie sie verleugnen, indem sie versuchen, nicht über das zu sprechen, wovor sie Angst haben, indem sie so tun, als sei alles im Lot, indem sie sich abkapseln, indem sie sich mit Zornesausbrüchen Luft verschaffen, indem sie resignieren …

Strategien gegen die Angst

Solche Strategien erweisen sich jedoch als ungünstig, wenn sie oft oder dauerhaft eingesetzt werden. Dann kosten sie letztlich mehr Energie und Kraft als den Ängsten «ins Gesicht zu sehen». Denn meist kehren die verdrängten Ängste in anderer Form wieder: Sie können zum Beispiel den Schlaf stören, Schmerzen verstärken, körperliche Beschwerden verursachen oder zu erhöhter Reizbarkeit führen.

Besser ist, sich der Situation und den Gefühlen zu stellen – auch wenn dies vorübergehend anstrengend ist. Es gibt viele Wege, der Angst (und auch anderen unangenehmen Emotionen) wirkungsvoll zu begegnen – und sie lassen sich erlernen.

Wird die Angst übermächtig, ist es sinnvoll, sich Unterstützung zu holen.

Was man tun kann

  • Auch wenn es schwerfällt oder ungewohnt ist: Sprechen Sie mit Vertrauenspersonen und/oder Therapeuten über Ihre Emotionen und Sorgen. Nehmen Sie entsprechende Gesprächsangebote wahr.
  • Finden Sie – eventuell mit Hilfe durch eine Fachperson – heraus, wovor genau Sie Angst haben. Denn einer konkreten Angst lässt sich leichter begegnen. Wer zum Beispiel erkennt, dass er sich weniger vor der Chemotherapie als mehr vor dem Haarausfall dabei fürchtet, findet eher eine Lösung, als wenn die Angst diffus bleibt. Die Ängste vor tatsächlichen Bedrohungen von jenen zu trennen, die aus früheren Situationen stammen, kann ebenfalls helfen.
  • Gehen Sie etwaigen Befürchtungen auf den Grund anstatt sie unausgesprochen mit sich herumzutragen. Nur so können Sie nach Lösungsmöglichkeiten suchen, falls sich herausstellt, dass diese Befürchtungen tatsächlich begründet sind.
  • Versuchen Sie, im «Hier und Jetzt» zu bleiben, anstatt sich gedanklich dauernd damit zu beschäftigen, welche Probleme noch auf sie zukommen könnten – oder auch nicht. Packen Sie Probleme dann an, wenn sie sich stellen, eines nach dem anderen.
  • Nehmen Sie unangenehme Gedanken und Gefühle wahr, aber setzen Sie ihnen einen entschiedenen Stopp, wenn sie überhand nehmen.
  • Tauschen Sie sich mit anderen Betroffenen und Vertrauenspersonen aus, holen Sie sich Unterstützung. Manchmal haben andere Menschen gute Ideen, auf die man selbst nicht gekommen wäre. Eine gute Adresse sind auch Selbsthilfegruppen.
  • Holen Sie sich fachkundige Hilfe, wenn Ihre Lebensqualität oder die Alltagsbewältigung nachhaltig und stark beeinträchtigt sind. Wenden Sie sich an Ihren Hausarzt, Onkologen oder Psychoonkologen beziehungsweise Psychotherapeuten, einen Seelsorger, Kunst-, Physio- oder Ergotherapeuten oder an die Kantonale Krebsliga.
  • Fragen Sie nach, wenn Ihnen etwas zu Ihrer Erkrankung oder zur Behandlung unklar ist. Fragen Sie solange, bis sie zufrieden stellende Antworten erhalten haben und alles verstanden haben. Informieren Sie sich zu allen Punkten, die Ihnen wichtig sind.
  • Falls Sie es können: Praktizieren Sie regelmässig Entspannungsverfahren um mehr innere Ruhe zu finden.
  • Bewegen Sie sich möglichst 150 Minuten pro Woche mit mittlerer Intensität. Denn Menschen mit Darmkrebs, die ihre Erkrankung überstanden haben und die sich regelmässig bewegen, leiden weniger an Ängsten, als solche, die körperlich inaktiv sind.
  • Im Einzelfall können auch pflanzliche Wirkstoffe oder Medikamente vorübergehend Abstand schaffen zu überwältigenden Gefühlen und helfen, wieder handlungs- und entscheidungsfähig zu werden. Erkundigen Sie sich vor der Einnahme, ob Wechselwirkungen mit der Krebstherapie möglich sind.

Warum es hilft

Indem man Ängste und Sorgen aktiv angeht, gewinnt man die Kontrolle darüber zurück. «Aktiv angehen» bedeutet zum Beispiel, sich zu informieren, ob eine Befürchtung wirklich begründet ist. Angst verliert an Bedrohlichkeit, wenn man sie benennen und aussprechen kann. Dasselbe gilt in den allermeisten Fällen auch für andere Gefühle.

Wichtig

Manche Menschen scheuen sich, mit anderen über ihre Erkrankung oder Emotionen zu sprechen, aus Angst, damit «den Teufel an die Wand zu malen». Diese Furcht ist unbegründet.

Um es klar zu sagen: Eine Krebserkrankung, damit verbundene Ängste oder andere Symptome werden nicht dadurch schlimmer, dass man sich damit befasst, über sie spricht oder sich Unterstützung holt – im Gegenteil: Man kann lernen, der Angst und dem Gefühlschaos etwas entgegen zu setzen. Es geht dabei nicht darum Ängste, Zorn oder andere Emotionen loszuwerden, sondern ihnen weniger Macht zu geben. Dieses Wissen hilft auch später, in anderen stressigen Lebenslagen, um besser damit fertig zu werden.

Psychoonkologie

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