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Bei Herzinfarkt: Sofort handeln

800 Patientinnen und Patienten mit verschlossenen Herzkranzgefässen behandeln die Spezialisten des Herzzentrums jährlich. Dafür nutzen sie eine vor über 40 Jahren am Universitätsspital Zürich entwickelte Technik. Frauen sind von der Verschlusskrankheit zwar seltener betroffen, doch sie sterben eher daran als Männer.

​Text: Helga Kessler

Starke Schmerzen in der Brust und ein Engegefühl, als «sitze ein Elefant» darauf, sind typische Symptome eines Herzinfarkts – bei Männern. Bei Frauen sind die Anzeichen oft andere: ungewöhnlich starke Müdigkeit, Magenschmerzen, Schwindel oder Ohnmacht. «Die Frauen selbst, aber auch Rettungssanitäter oder Ärzte erkennen die Symptome oft nicht sofort als Herzinfarkt», sagt Christian Templin, Leiter des Herzkatheterlabors am Universitären Herzzentrum Zürich.

Weil es bei der lebensbedrohlichen Erkrankung um Minuten geht, hat auch eine leicht verspätete Diagnose Folgen: «Frauen sind zwar seltener betroffen, sie sterben aber eher an einem Herzinfarkt als Männer», sagt Christian Templin. Der Kardiologe hat eine mögliche Erklärung dafür gefunden: «Wir sehen täglich im Katheterlabor, dass die Frauen schmerzresistenter sind.» Das könne dazu führen, dass sie Anzeichen eines Herzinfarkts weniger ernst nähmen. Studien zeigten ausserdem, dass für Frauen andere Themen als die eigene Gesundheit stärker im Vordergrund stünden, zum Beispiel, die Kinder zu versorgen.

Dabei ist bei einem Herzinfarkt immer höchste Eile geboten: Sind Gefässe, die den Herzmuskel mit Blut versorgen, verstopft, bekommen die Muskelzellen keinen Sauerstoff mehr und sterben ab. Je grösser das Areal ist, das das betroffene Gefäss versorgt, desto grösser ist der Schaden. Im schlimmsten Fall hört das Herz auf zu schlagen.

Diagnose auf einen Blick

Ob ein Infarkt vorliegt, lässt sich mit zwei Untersuchungen einfach und schnell klären. Sind Muskelzellen abgestorben, lassen sich im Blut höhere Konzentrationen von Herzmuskelenzymen finden. Zudem sind die Herzströme, die mit dem Elektrokardiogramm (EKG) aufgezeichnet werden, meist charakteristisch verändert. «Wir sehen auf einen Blick, wenn wir unmittelbar mit der Behandlung beginnen müssen», erklärt Christian Templin. Weil die Patientinnen und Patienten grosse Schmerzen haben, erhalten sie ein starkes Schmerzmittel, häufig auch ein beruhigendes Medikament. Zudem bekommen sie Gerinnungshemmer wie Heparin und Aspirin, um die Verstopfung im Gefäss aufzulösen (s. Box).

Im Herzkatheterlabor schiebt der Kardiologe einen dünnen Kunststoffschlauch über ein Blutgefäss in der Leiste oder in der Ellenbeuge bis zum Herzen vor. Über einen Monitor sieht er die mit einem Röntgenkontrastmittel sichtbar gemachten drei grossen Herzkranzgefässe und deren kleinste Verzweigungen. Über den Schlauch schiebt er einen dünnen Draht bis zur verstopften Stelle und versucht, diese zu durchstossen. Gelingt es, weitet er das Gefäss mit einem aufblasbaren Ballon. Damit es sich nach dem Eingriff nicht wieder verschliesst, platziert er ein mit einem Medikament beschichtetes Metallgitter, einen sogenannten Stent. Entwickelt wurde die Kathetertechnik 1977 von Andreas Grüntzig am Universitätsspital Zürich, der damit die «interventionelle Kardiologie» erfunden hat. Die Methode wird im Prinzip noch heute fast unverändert angewandt.

​Blutgerinnsel in der Arterie

Ursache eines Infarkts im Herzen oder auch im Gehirn sind krankhafte Veränderungen der Arterien, Arteriosklerose genannt. Sie entsteht, wenn sich an den Innenwänden von Gefässen Blutfette (LDL-Cholesterin) und Kalk (Kalzium) ablagern, sogenannte Plaques. Bei einem Infarkt reissen diese plötzlich auf. «Verletzung», signalisiert der Körper und schickt Blutplättchen, um die Wunde zu schliessen. Doch die Plättchen verklumpen, das Gerinnsel verschliesst die betroffene Arterie teilweise oder vollständig; oft war sie aufgrund der Plaques bereits vorher verengt. Meist ist nur ein Gefäss verschlossen, selten sind mehrere oder sogar alle drei grossen Herzkranzgefässe betroffen. Können die Kardiologen die Arterie mit der Kathetertechnik nicht wieder öffnen oder liegt eine Drei-Gefäss-Erkrankung vor, übernehmen die Herzchirurgen die Behandlung und legen einen sogenannten Bypass: Mit Gefässen, die sie zuvor dem Patienten entnehmen, schaffen sie Umgehungen für die verschlossenen Stellen.

«Ein sehr dankbarer Eingriff»

Etwa 800 Herzinfarktpatienten jährlich behandeln die Kardiologen im Herzzentrum des Universitätsspitals mit der Kathetertechnik. Oft ist das Gefäss nach 30 Minuten wieder geöffnet, selten dauert es mehrere Stunden. «Es ist ein sehr dankbarer Eingriff, wir können Leben unmittelbar retten», sagt Christian Templin. Madeleine Beyer, Leiterin des Pflegeteams, das die Patienten während der Behandlung im Herzkatheterlabor eng begleitet, kennt den Moment, in dem das Blut wieder fliesst: «Die Farbe im Gesicht des Patienten ändert sich, man sieht, wie der Schmerz nachlässt und der Körper zur Ruhe kommt.»

Bei der grossen Mehrheit der Patienten ist lediglich ein Gefäss verschlossen; für sie beginnt nach dem Eingriff die Phase der Erholung. Die ersten 24 Stunden verbringen sie auf der Intermediate-Care-Station, anschliessend wechseln sie in die ambulante oder stationäre Rehabilitation. Die Erholung geht umso schneller, je früher die Behandlung einsetzen kann und je geringer der durch den Infarkt verursachte Schaden ist. Mussten die Patienten nach einem Herzstillstand wiederbelebt werden, ist ihre Chance, den Herzinfarkt zu überleben, deutlich geringer. Denn meist hat die ausbleibende Versorgung mit Sauerstoff nicht nur den Herzmuskel geschädigt, sondern auch das Gehirn.

Nach einer erfolgreichen Behandlung beginnt schon bald die Phase der Prävention eines erneuten Herzinfarkts. «Oft zeigen wir den Patienten die Bilder der verschlossenen Gefässe und erklären ihnen, dass es nun wichtig ist, an den Risikofaktoren zu arbeiten», sagt Christian Templin. Rauchen erhöht die Gefahr eines Infarkts, auch eine fettreiche und stark zuckerhaltige Ernährung. «Übergewicht und Diabetes, Bluthochdruck, ein erhöhter Cholesterinwert, mangelnde Bewegung und zu viel Stress wirken ebenfalls ungünstig», weiss Madeleine Beyer. Je mehr dieser Faktoren zusammenkommen, desto höher ist das Risiko. Männer sind ab Mitte 40 besonders gefährdet, Frauen verstärkt nach den Wechseljahren, weil dann die schützende Wirkung der Östrogene auf die Gefässe nachlässt.

Blutdrucksenkende Medikamente und Cholesterinsenker aus der Gruppe der Statine oder, falls diese nicht vertragen werden, aus der Gruppe der neuen PCSK9-Inhibitoren können die Gefahr eines Infarkts zwar stark minimieren, aber nicht komplett  ausschalten. Kommt es zum Herzinfarkt, geschieht er meist überraschend. Dann gilt es, schnell zu reagieren und den Notruf zu wählen. Für Männer wie für Frauen hat Christian Templin eine einfache Faustregel, die bei der Schnelldiagnose hilft: «Die Symptome sind sehr stark, sie sind vorher noch nie aufgetreten, und sie gehen nicht mehr weg.»

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