Story

Gefährliche Schläfer im Schleim

Zuletzt aktualisiert am 08. Februar 2022 Erstmals publiziert am 11. Juni 2019

Annelies Zinkernagel geht den Dingen gerne auf den Grund – als Ärztin und als Forscherin. Ihre neuesten Erkenntnisse zu Bakterien in Biofilmen helfen Antibiotika-Therapien gezielter zu machen.

Annelies Zinkernagel hat eine grosse Leidenschaft für die Medizin und die Forschung. Nach ihrem Medizinstudium in Lausanne und Zürich doktorierte sie in Medizin in Zürich und in Biologie in San Diego, Kalifornien, USA. Seit 2013 ist sie Leitende Ärztin in der Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene am USZ und seit 2015 Assistenzprofessorin für Experimentelle Infektiologie an der Universität Zürich. Dass ihr Labor am USZ mitten in der Klinik liegt, ist für ihre Arbeit ideal: «Ich will verstehen, was im Patienten vorgeht. Die Nähe zu den Patientinnen und Patienten ist dafür unglaublich hilfreich.»
In ihrer Forschung untersucht Annelies Zinkernagel, warum Krankheitserreger wie Bakterien nicht oder nur langsam auf Antibiotika ansprechen (so auch in ihrer aktuellen Publikation). Und warum uns manche Bakterien krank machen, andere aber nicht. Ihr Schwerpunkt liegt dabei auf bakteriellen Infektionen. ​


Im Biofilm warten die Keime den Angriff ab

Viele bakterielle Infektionen können dank Antibiotika behandelt werden. Einige jedoch nur schwer, dazu gehören besonders Infektionen, die mit Biofilmen zusammenhängen. Biofilme sind Schleimschichten, die auf Oberflächen haften und mit Mikroorganismen wie Bakterien, Pilzen oder Algen besiedelt sein können. «Biofilme kommen in der Natur häufig vor, wir kennen sie auch aus dem Alltag, z.B. von Ablagerungen in Abflussrohren oder im Bachbett», erklärt Annelies Zinkernagel. «In der Medizin sind sie ein Problem, wenn sie sich auf Implantaten wie Herzschrittmachern oder künstlichen Gelenken entwickeln.» In der schützenden Schleimschicht können Bakterien über längere Zeit inaktiv verharren, sie können sich darin aber auch vermehren, wenn auch verlangsamt. Antibiotika erreichen Bakterien in einem Biofilm nur schwer; bei inaktiven, «schlafenden» Bakterien sind sie zudem wirkungslos.

Die Bakterien im Biofilm sind den Antibiotika also kaum ausgesetzt. Um diese schlafenden Bakterien, so genannte Persisters, abzutöten, braucht es in der Regel deshalb eine sehr lange antibiotische Therapie oder wenn Fremdmaterialien involviert sind, auch deren chirurgische Entfernung. Um vorauszusagen ob eine Therapie wirkt, ist es wichtig, die Charakteristika der Bakterien zu kennen. Das ist aber schwierig, weil man nicht weiss, wie sich die Bakterien im Patienten entwickeln. Erschwerend kommt hinzu, dass diese Bakterien häufig viele kleine Kolonien bilden, die sich wiederum unterschiedlich verhalten. Häufig kann man deshalb erst am Versagen der Therapie den Nichterfolg ablesen. Nicht selten verlaufen diese langwierigen Infektionen über lange Zeitspannen und sind für die Patienten extrem belastend.

In ihren aktuellsten Studien konnten Annelies Zinkernagel und ihr Team neue Erkenntnisse über das Verhalten der Persisters gewinnen. Sie haben dazu Bakterien direkt aus einem Patienten genommen, der schon unter antibiotischer Behandlung war und bei dem es zu einem Wiederaufflammen der bakteriellen Infektion kam. Diese Bakterien haben sie im Detail charakterisiert und konnten so zeigen, warum es trotz optimaler antibiotischer Therapie zu Problemen bei der Behandlung dieser Infektionen kam. Annelies Zinkernagels Tätigkeit als Ärztin und Forscherin kamen ihr und dem Patienten, dessen Fall sie in ihren Studien schildert, dabei .zu Hilfe. «Es war ein Glücksfall, dass ich gerade Dienst hatte, als dieser Patient bei uns ins Spital kam», meint Zinkernagel rückblickend. «So konnten wir die Bakterien umgehend im Labor analysieren.»

Ein klarer Fall wird zum Rätsel

Der Patient war seit langem auf einen Herzschrittmacher angewiesen und trug bereits einen zweiten, der schon vor Jahren einen älteren abgelöst hatte. Weil der alte Schrittmacher nicht ohne offene und gefährliche Operation hätte entfernt werden können, hatte man ihn damals im Patienten belassen. Nun hatte sich das Gewebe um den alten Herzschrittmacher nach mehreren problemlosen Jahren entzündet. In einer kleineren Operation wurde das Gewebe gereinigt und die Elektroden wurden soweit möglich entfernt. Während dieser Operation wurde Gewebeflüssigkeit entnommen und zur Untersuchung geschickt. Im Labor zeigte sich, dass das Bakterium Staphylococcus epidermidis die Entzündung ausgelöst hatte – ein häufiger Erreger solcher Entzündungen. In der Regel ist er gut behandelbar. Die angewandte Antibiotikatherapie wirkte denn auch und der Patient konnte das Spital nach einiger Zeit verlassen, musste aber noch Antibiotika nehmen.

Noch immer unter Antibiotika, kam der Patient vierzehn Wochen später erneut ins Unispital. Seine Herzinnenhaut hatte sich entzündet, eine Endokarditis. Die Antibiotikatherapie wurde gewechselt. Die Blutuntersuchungen zeigten jedoch, dass erneut derselbe S. epidermidis wuchs, obwohl dieser vollempfindlich war, also auf die eingesetzten Antibiotika hätte ansprechen müssen. Da die Antibiotika alleine nicht ausreichten, diese Biofilm-Infektion zu bekämpfen, auch wenn die Bakterien voll dafür empfindlich waren, musste der Herzschrittmacher schliesslich doch operativ entfernt und ein neuer eingesetzt werden. Der Patient erholte sich gut und hat seither, also seit mehreren Jahren, keinerlei Probleme mehr, auch keinen neuen Infekt.

«Es ist für den Patienten gut ausgegangen», sagt Annelies Zinkernagel rückblickend, «aber uns stellte sich eine grosse Frage: Warum war die Infektion erneut ausgebrochen, trotz Antibiotika und vollempfindlichem Bakterien?»

Die Persisters – eine wilde Horde unter Beobachtung

Der Schlüssel zur Lösung lag in den während den Spitalaufenthalten entnommenen Bakterienproben. «Anhand dieser Proben konnten wir die Entwicklung der Bakterien erstmals über so lange Zeit sozusagen ‹live im Patienten› verfolgen. Wir gewannen dadurch wichtige Erkenntnisse, die uns helfen, bakterielle Infektionen bei Patienten mit Biofilm-assoziierten Infektionen besser zu verstehen und somit in Zukunft auch gezielter zu behandeln als dies bisher möglich war.» Annelies Zinkernagel und ihr Team konnten verfolgen, dass sich die Bakterien im Patienten anders verhielten als auf einer Agarplatte im Labor. Sie sahen, wann die Bakterien aus ihrem «Schlaf» erwachten, wann sie wuchsen, nach welchen Mustern, und wie sie genetisch mutierten. Die Forscherinnen und Forscher konnten daran ablesen, wie die Bakterien im Patienten die Antibiotika tolerierten und deshalb nicht abgetötet wurden. «Das ist ein ganzes Bündel wichtiger Erkenntnisse», fasst Zinkernagel zusammen. «Es hat sich gezeigt, dass wir diese Persisters in der Behandlung viel stärker berücksichtigen müssen. Wir können mit diesem Wissen aber nun auch viel besser verstehen, wie sich die Bakterien während einer Infektion entwickeln werden, und dies wird uns in Zukunft helfen zu verstehen, wann und wie lange eine Therapie fortgesetzt werden muss, obwohl z.B. die Laboranalyse zeigt, dass keine Bakterien mehr wachsen.» Das Ziel ist es, den Patientinnen und Patienten langwierige Therapien mit verschiedenen Antibiotika zu ersparen. Dadurch wird auch der Einsatz von Antibiotika insgesamt reduziert. Dies trägt dazu bei, die bedrohliche Entwicklung von Resistenzen gegen Antibiotika zu verhindern.

Publikation

Vanina Dengler Haunreiter, Mathilde Boumasmoud, Nicola Häffner, Dennis Wipfli, Nadja Leimer, Carole Rachmühl, Denise Kühnert, Yvonne Achermann, Reinhard Zbinden, Stefano Benussi, Clement Vulin & Annelies S. Zinkernagel, In-host evolution of Staphylococcus epidermidis in a pacemaker-associated endocarditis resulting in increased antibiotic tolerance. Nature Communications.
DOI: 10.1038/s41467-019-09053-9

Forschungsgruppe von Annelies Zinkernagel

Klinik für Infektionskrankheiten & Spitalhygiene