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Früher helfende Engel, heute Wissenschaft

Zuletzt aktualisiert am 21. Dezember 2021 Erstmals publiziert am 23. März 2020

Vor 200 Jahren wurde mit Florence Nightigale der Pflegeberuf geboren. Seither hat der Beruf eine gewaltige Professionalisierung erfahren. In Zeiten der Corona-Krise sind wir uns mehr bewusst denn je, welche zentrale Rolle der Pflege zukommt.

Florence Nightingale war entsetzt,als sie die Zustände in den Lazaretten der englischen Truppen während des Krimkriegs 1853 sah. Viele der Soldaten starben an Seuchen und infizierten Wunden wegen unsachgemässer Versorgung. Florence Nightingale setzte sich für mehr finanzielle Mittel für die Lazarette ein und legte Hygiene und Behandlungsstandards fest. Damit wurde sie weit über die englischen Landesgrenzen hinaus berühmt. Nach ihrer Rückkehr aus dem Krieg gründete sie Pflegeschulen, veröffentlichte über 200 Schriften zu pflegerischen Themen und prägte die Professionalisierung der Krankenpflege wie wohl kaum jemand zu dieser Zeit. Umso paradoxer war das idealisierte, mütterlichaufopfernde Bild, das in der Öffentlichkeit von ihr gezeichnet wurde. Eine gängige Schublade, in die man Pflegende noch lange stecken würde – auch in der Schweiz.

Aufbruchstimmung – aber nicht in der Pflege

Das 19. Jahrhundert brachte viele medizinische Errungenschaften hervor. Mit der Entdeckung des Penicillins konnten bakterielle Infekte geheilt werden. Die Fortschritte in der Anästhesie ermöglichten grössere Operationen. So wurden die Siechen und Sterbehäuser allmählich zu Spitälern, und die Krankenpflege verschob sich von zu Hause in die Krankenhäuser. Der Bedarf an Pflegepersonal stieg und war bald nicht mehr mit den in den Spitälern tätigen Ordensschwestern (daher der Begriff «Krankenschwester») zu decken. Gleichzeitig veränderte sich mit der Industrialisierung das Frauenbild. Männer sorgten neu für das Einkommen, Frauen erledigten den Haushalt. «Weibliche» Arbeit verlor damit an Ansehen in der Gesellschaft. Pflege fiel unter diese ;weiblichen Tätigkeiten –undenkbar, dass ein Mann sie ausübte. Entsprechend schlecht waren Lohn, Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen.Es verwundert also nicht, dass sich damals nur wenige Frauen für die Krankenpflege entschieden. Daran änderten auch die ersten nichtkonfessionellen Krankenpflegeschulen zu Beginn des 20. Jahrhunderts vorerst nichts.

Helfende Engel

Die Ungerechtigkeiten, denen Pflegende sich gegenübersahen, wurden mit demselben überzeichneten mütterlich weiblichen Idealbild entschuldigt, das schon Florence Nightingale zuteil wurde. Oft wurden Pflegende als Engel dargestellt und ihre Arbeit als «Liebesdienst» am Menschen bezeichnet, dessen Lohn sich aus dem moralischen Wert ergab. Die Krankenpflegeschulen stützten dieses Berufsbild und forderten die «unhinterfragte Entgegennahme und Ausführung von Anordnungen sowie Bescheidenheit und Takt». Selbst Opfer ihrer Zeit, stützten auch viele Pflegende dieses Bild. Tatsächlich forderten die Zustände aber ihren Tribut. «Durch unvernünftige Arbeitszeit, die nicht selten 15 bis 16 Stunden pro Tag beträgt, durch andauerndes Nachtwachen ohne genügende Gelegenheit zum Tagesschlaf werden konfessionelle und frei erwerbende Pflegerinnen in ihrer Gesundheit geschädigt, ihre Kräfte werden rasch verbraucht, und es ist kein Zufall, dass die Erkrankungs- und Sterbeziffer beim Pflegepersonal eine abnorm hohe ist», beschrieb Walter Sahli (1860–1916), Zentralsekretär des Schweizerischen Roten Kreuzes, die Situation.

Vom Ideal zur Profession

Ende des Zweiten Weltkriegs sah sich die Schweiz mit einem nie dagewesenen Pflegekräftemangel konfrontiert.Zusammen mit dem Druck von Verbänden ebnete dieser 1947 den Weg für den ersten bundesweiten Normalarbeitsvertrag. Er beinhaltete Massnahmen für den Gesundheitsschutz der Pflegenden – ein Meilenstein. Der gesellschaftliche Wandel, die zunehmende Komplexität des Gesundheitssystems und neue Therapieformen in der Medizin in den Jahrzehnten danach erforderten auch eine Weiterentwicklung der Pflege. Pflegetheorien und -modelle wurden entwickelt – den deutschsprachigen Raum dominierte unter anderen auch die Schweizerin Liliane Juchli mit ihrem Modell der «Aktivitäten des täglichen Lebens». Die Zeiten des reinen Entgegennehmens und Ausführens von Anweisungen waren vorbei. Die Pflege wurde zur Profession mit eigenen Methoden und Zielen.

Pflege schafft Wissen

Heute ist die Pflege eine evidenzbasierte Wissenschaft. Seit dem Jahr 2000 ist sie universitär vertreten, und in den Spitälern wird klinische Forschung betrieben. Die Pflege ist überall im Gesundheitswesen aktiv, darin einer der zentralen Akteure und national wie international gut vernetzt. Wie Pflege heute aussieht, was sie leistet und wie vielfältig sie ist, werden wir Ihnen in den kommenden Wochen in verschiedenen Beiträgen online und offline vorstellen. Wir wissen weiter – auch in der Pflege.

 

Die Pflegepionierin wird 200

Die britische Krankenschwester Florence Nightingale (12.5.1820–13.8.1910) prägte die Entwicklung zur professionellen Krankenpflege mit ihren Publikationen und der Reform des Sanitätswesens in Grossbritannien. Sie trug wesentlich zur Professionalisierung und zur gesellschaftlichen Anerkennung der Krankenpflege bei.