Story

Jeder Tropfen zählt

Zuletzt aktualisiert am 01. August 2023 Erstmals publiziert am 26. August 2021

Patient Blood Management ist ein medizinisches Konzept, das die körpereigenen Blutreserven stärkt und damit die Patientensicherheit erhöht. Als Folge benötigen die Behandelten beim Eingriff oftmals keine Bluttransfusion, erleiden seltener Infektionen und erholen sich schneller.

Es ist unbestritten, dass Bluttransfusionen bei Notfalloperationen mit grossem Blutverlust Leben retten können. Allfällige Abwehrreaktionen des Körpers sind in diesem Fall von untergeordneter Bedeutung. Fakt ist aber, dass der menschliche Körper auf fremdes Blut durchaus negativ reagieren kann. Denn Fremdblut ist ein Fremdkörper im System. Die körpereigenen Reaktionen reichen von Fieber bis hin zu Organschäden. Nicht selten kommt es vor, dass sich Patienten nach einer Bluttransfusion, neben der Heilung des Initialleidens, mit zusätzlichen Beschwerden herumschlagen müssen.
Hier setzt das Patient Blood Management an. Seit über zehn Jahren nimmt das Institut für Anästhesiologie weltweit eine Vorreiterrolle ein. «Wer dank optimalen Blutwerten während einer Operation nicht auf Fremdblut angewiesen ist, hat ein tieferes Infektionsrisiko, erholt sich besser und kann das Spital schneller verlassen», erklärt Donat Spahn, Leiter des Instituts bis 31. Juli 2023, den Grundgedanken von Patient Blood Management. «Das dient einerseits dem Wohl des Patienten und ist anderseits ein wirtschaftlicher Faktor für das Spital.» Eine spitalweite Analyse mit Daten einer knappen Viertelmillion Patientinnen und Patienten der Jahre 2012 bis 2017 zeigte: Das USZ konnte im Beobachtungszeitraum den Einsatz von Bluttransfusionen um 40 Prozent senken. «Dabei geht es in keiner Weise darum, der Blutbank ihre Daseinsberechtigung abzusprechen. Im Gegenteil», betont Donat Spahn die gute Zusammenarbeit zwischen der USZ-Blutbank und dem Institut für Anästhesiologie. «Wir arbeiten Hand in Hand für eine optimale Versorgung der Patientinnen und Patienten, besprechen die Massnahmen und schöpfen gemeinsam alle uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten aus.»
Operationstermine werden am USZ in der Regel rund zwei bis drei Wochen im Voraus festgelegt. «In diesem Moment beginnt das Zeitfenster von Patient Blood Management», so Donat Spahn. Die verbleibende Zeit bis zum Eingriff wird aktiv genutzt, um die Blutwerte der Patientinnen und Patienten zu optimieren. «Patient Blood Management setzt alle zur Verfügung stehenden Mittel ein, um bei einem allfälligen Verlust von mehr als 500 Millilitern Blut die Notwendigkeit einer Transfusion zu minimieren.» Patient Blood Management hört indessen nicht an der Tür zum Operationssaal auf.

Vor der OP: Eigenblutmenge erhöhen

Mit einem halbleeren Tank eine Autoreise anzutreten, macht keinen Sinn. Genauso wenig ratsam ist es, sich mit mangelhaften Blutwerten einer Operation zu unterziehen. «Viele Menschen leiden unwissentlich unter Eisenmangel und Blutarmut (Anämie), was sich während einer Operation negativ auswirken kann», erklärt Donat Spahn.
Im Rahmen des Patient Blood Management werden das Hämoglobin und das Ferritin bestimmt. Ist die Konzentration an Blutfarbstoff (Hämoglobin) zu gering, leiden Patienten unter Blutarmut (Anämie). Das Protein Ferritin im Blut zeigt an, wie hoch die Eisenreserven im Körper sind. Bei 40 Prozent aller Anämien ist Eisenmangel die Ursache. Mit Eisenpräparaten, Erythropoetin (EPO) zur Bildung roter Blutkörperchen, Vitamin B12 und Folsäure wird das Blut in den Wochen vor dem OP-Termin optimal angereichert. «Unsere Erfahrungen zeigen, dass selbst bei kurzfristig angesetzten Operationen die roten Blutkörperchen und das Ferritin durch gezielte Massnahmen noch entscheidend erhöht werden können», betont Donat Spahn. Diesen Teil der OP-Vorbereitung bestreiten die Patientinnen und Patienten grösstenteils gemeinsam mit ihrem Hausarzt. Das Patient Blood Management hält den Kontakt zu den Hausärzten und überprüft die Verbesserung der Blutwerte.

Während der OP: Minimieren des Blutverlustes

Jetzt sind sauberes Handwerk und neuste Technologie gefragt. Das Anästhesieteam rund um Donat Spahn hat in den letzten Jahren im Operationssaal Prozesse umgesetzt und Hilfsmittel verbessert, die den Blutverlust deutlich reduzieren. Die Chirurginnen und Chirurgen verwenden blutsparende Operationstechniken, um den Blutverlust zu minimieren. Durch die maschinelle Autotransfusion wird verlorenes Patientenblut aufgefangen, zentrifugiert und dem Patienten nach einem Waschvorgang per Retransfusion wieder zurückgeführt. «Bei Tumorpatientinnen und -patienten haben wir sogar die Möglichkeit, das Blut vor der Retransfusion zu bestrahlen.» Nicht zuletzt kann das Team durch ein aktives Management der Körperwärme Blutgerinnung und -verlust positiv beeinflussen. Die Schwelle für Transfusionen während Operationen wird mittlerweile über einen Algorithmus gesteuert und liegt verhältnismässig tief.

Nach der OP: Blutwerte erneut optimieren

Wer während einer Operation eine bedeutende Menge an Blut verloren hat, erhält im Nachgang erneut Eisen, EPO, Vitamin B12 und Folsäure. «Damit können wir die Erholung deutlich verbessern und beschleunigen», erklärt Donat Spahn. Selbst die zu Diagnosezwecken entnommene Blutmenge wird möglichst tief gehalten. «Patientinnen und Patienten dank optimierter Blutwerte vor, während und nach einem Eingriff möglichst sicher durch diese schwierige Phase zu begleiten, dafür setze ich mich ein.»

Vom Behandlungskonzept zum Standard

Vor rund 15 Jahren entwickelte Donat Spahn zusammen mit einer kleinen Gruppe Kollegen aus Australien, Amerika und Deutschland das medizinische Konzept zu Patient Blood Management. Gemeinsam entwickelten sie es über die Jahre weiter. In einem bereits 2011 verabschiedeten Memorandum fordert die WHO die Einführung von Patient Blood Management im medizinischen Alltag. Die Universitätsspitäler von Basel und Lausanne haben das Potenzial erkannt und setzen mittlerweile ebenfalls auf Patient Blood Management. «Die Logistik aufzubauen und nicht zuletzt eine funktionierende Schnittstelle zwischen Operationsplanung und Patient Blood Management umzusetzen, ist aber in vielen Spitälern mit beträchtlichem Aufwand verbunden», gibt Donat Spahn zu.

Anreiz für das Patientenwohl und die Wirtschaftlichkeit

Mit Nachdruck weist Donat Spahn auf das wirtschaftliche Potenzial hin. «Operationen, die früher nicht kostendeckend durchgeführt werden konnten, sind gemäss einer Studie aus Australien dank Patient Blood Management heute profitabel.» Dies dürfte auch für kleinere Spitäler ein attraktiver Denkanstoss sein. So hat sich das Kantonsspital Zug von Patient Blood Management überzeugen lassen und das Konzept auf seine Bedürfnisse angepasst. Insbesondere für Spitäler mit orthopädischer Chirurgie bestehe ein grosses Potenzial, so Donat Spahn. Vor dem Hintergrund, dass ältere Menschen zu Eisenmangel und Blutarmut neigen und das Ersetzen von Hüft- und Kniegelenken mit einem beträchtlichen Blutverlust einhergehen kann, kann eine optimale Blutanreicherung ein Erfolgsfaktor sein. Nach einer Operation ohne Fremdblut sind die Behandelten rascher wieder auf den Beinen, können das Spital deutlich früher verlassen und entlasten damit die Infrastruktur. «Das ist von grossem Wert – für die Behandelten wie für die Klinik.»

Verantwortlicher Fachbereich