Portrait Frau Martina Broglie Däppen

Story

Kopf-Hals-Tumoren: In drei Tagen zur Diagnose

Zuletzt aktualisiert am 27. Juli 2022 Erstmals publiziert am 26. Juli 2022

Bei Tumoren im Kopf- und Halsbereich sind wichtige Funktionen wie Sprechen und Schlucken gefährdet – und ihre Zahl nimmt zu. Die schnelle Diagnose und gezielte Behandlung ist deshalb entscheidend. Martina Broglie Däppen, Spezialistin für Kopf-Hals-Tumoren am USZ, hat dafür einen Prozess entwickelt, bei dem alle Berufsgruppen beteiligt sind und die Patienten im Zentrum stehen.

Tumoroperationen im Kopf-Hals-Bereich sind häufig schwierige und komplexe Operationen. Martina Broglie-Däppen liebt diese Herausforderung. Die Leitende Ärztin der Klinik für Ohren-, Nasen-, Hals- und Gesichtschirurgie ist Spezialistin für die operative Behandlung gut- und bösartiger Tumoren des Kopf-Hals-Bereichs und Leiterin des Kopf-Hals-Tumorzentrums am USZ. Im Zentrum werden bösartige Tumoren der Mundhöhle, des Rachens, des Kehlkopfes, der Schilddrüse und der Speicheldrüsen behandelt. Meist handelt es sich dabei um so genannte Plattenepithelkarzinome. «Diese Erkrankungen können zentrale Funktionen wie Atmen, Schlucken und Sprechen stark beeinträchtigen. Bei deren Behandlung ist deshalb nicht nur die Heilung, sondern auch die Erhaltung dieser Funktionen zentral.» Dazu kommen ästhetische Aspekte: «Veränderungen im Gesichts- und Halsbereich sind besser sichtbar als an anderen Körperstellen. Die Krankheit kann vorübergehend oder dauerhaft sichtbare Spuren hinterlassen. Für die Patientinnen und Patientin bedeutet das eine zusätzliche Belastung. Wir setzen deshalb alles daran, für unsere Patientinnen und Patienten auch das optisch beste Resultat zu erreichen.»

Mehr Tumoren wegen HPV-Infektionen

Kopf-Hals-Tumoren gelten als selten, etwa 1000 neue Fälle werden in der Schweiz pro Jahr gezählt. Die Mehrzahl, rund 70 Prozent, betrifft Männer, die meisten davon sind über 60 Jahre alt. Aber: die Zahlen sind steigend und die Patientinnen und Patienten werden immer jünger. Grund dafür sind die anhaltende Zahl der Raucher und die Zunahme von Kopf-Hals-Tumoren, die mit einer Infektion mit dem humanen Papillomavirus (HPV) in einem Zusammenhang stehen. «Seit etwa 20 Jahren ist bekannt, dass eine HPV-Infektion die Ursache von Krebs im Kopf-Halsbereich sein kann. Mittlerweile sind etwa 70 Prozent aller Fälle von Rachenkrebs mit einer HPV-Infektion verbunden und bilden sogar eine eigene Tumorentität.» Seit vielen Jahren bilden die HPV-assoziierten Tumoren einen Schwerpunkt in Martina Broglie Däppens Forschung. «Noch wissen wir nicht, welche Personen mit einer HPV-Infektion im weiteren Verlauf eine HPV-assoziierte Krebserkrankung entwickeln», erläutert sie den Stand des Wissens. «Wir wissen aber, dass im Falle einer Transformation zum Krebs schon in einem sehr frühen Stadium Antikörper gebildet werden.» Ihre Forschung konzentriert sich auf die Rolle dieser Antikörper für die Früherkennung, die Diagnostik, die Prognose und die Therapie bei den HPV-assoziierten Orophrynxkarzinomen, wie sie medizinisch heissen. «Unser Ziel ist es, einen Bluttest zu entwickeln, mit dem sehr einfach und in einem sehr frühen Stadium eine Krebserkrankung erkannt werden kann. Denn die Behandlungsmöglichkeiten sind insbesondere im fortgeschrittenen Stadium beschränkt.»

Herzstück der Behandlung: Schnelle Diagnose und Therapiebeginn

Je früher eine Krebserkrankung in Kopf-Hals-Bereich erkannt wird, umso besser sind die Behandlungsmöglichkeiten und Heilungschancen, können wichtige Funktionen geschont oder erhalten werden. Leider ist die Sterblichkeit bei diesen Erkrankungen noch immer hoch und liegt je nach Stadium bei etwa 10 bis 70 Prozent. Tückisch ist, dass die Erkrankung oft erst in einem schon fortgeschrittenen Stadium erkannt wird. In der Regel dauert die Zeit der Abklärung mehrere Wochen. Damit vom Verdacht bis zum Therapiebeginn keine Zeit verloren geht, hat Martina Broglie Däppen zusammen mit Kollegen aus der Radio-Onkologie und der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie ein neues Konzept entwickelt und umgesetzt: Die interdisziplinäre Intake-Sprechstunde. Patientinnen und Patienten mit einem Verdacht auf einen Tumor werden in einem vordefinierten und patientenzentrierten Prozess innerhalb von drei Tagen umfassend abgeklärt und erhalten auch sofort eine Empfehlung für ihre individuelle Therapie. «Das Besondere an diesem «Fast Track» ist nicht nur die Geschwindigkeit», so Broglie Däppen. «Durch die Beteiligung von Ärzten und Pflege, von Nuklearmedizin, Neuroradiologie, Pathologie, Anästhesie, Logopädie und Ernährungsberatung erhalten wir ein viel umfassenderes Bild jedes Patienten, beispielsweise auch, was seine Belastbarkeit anbelangt.» Dazu trägt bei, dass auch die Gespräche mit den Patienten in einer gemeinsamen Sprechstunde stattfinden. «Der beste Therapieplan scheitert, wenn ein Patient damit überfordert ist. Ist er beispielsweise psychisch noch gar nicht bereit, die Therapie sofort anzufangen, weil er die Konfrontation mit seiner Krankheit noch gar nicht verarbeitet hat, bringt es mehr, ihn vor Therapiebeginn im Annehmen der Diagnose und der dadurch notwendigen Therapie zu unterstützen und damit sicherzustellen, dass er die Therapie dann auch gut und motiviert durchhält. Bevor wir diesen intensiven und systematischen Austausch aller beteiligten Berufsgruppen einführten, blieben diese Aspekte oft auf der Strecke – unerkannt und letztlich zum Nachteil der Patienten.» Das Konzept wurde inzwischen mehrfach mit Preisen ausgezeichnet, darauf ruht sich das Team aber nicht aus. Gerade ist – in Zusammenarbeit mit der Klinik für Konsiliarpsychiatrie und Psychosomatik – eine Befragung der Patientinnen und Patienten in Vorbereitung, die Aufschluss geben soll, was aus deren Sicht noch verbessert werden kann.

Möglich wurde dieser Fast Track auch durch die Präsenz aller Fachgebiete im USZ. «Die Präsenz reicht aber nicht aus, es müssen auch alle wollen», resümiert Martina Broglie Däppen. Teamwork ist ein zentrales Element ihrer Arbeit. Und auch bei Arbeitsformen betritt sie gerne Neuland. Die Leitung des Onkologie-Bereichs der Klinik für Ohren-, Nasen-, Hals- und Gesichtschirurgie teilt sie sich in einem neuen Modell der Co-Leitung mit einem Kollegen, um mehr Zeit für die Familie zu haben. Als Mentorin berät sie jüngere Kolleginnen und Kollegen auf ihrem Weg nach oben und insbesondere auch wenn es um die Kombination von Beruf und Familie geht. «Ideal wäre es, wenn Ärztinnen und Ärzte, die am Beginn ihrer Karriere stehen, sich schon früh eine Weggefährtin oder einen -gefährten suchen könnten, um so ein Tandem zu bilden. Dadurch eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten der Arbeit, der Arbeitsteilung und der Karriere. Natürlich trage ich in meiner Führungsfunktion eine zusätzliche Verantwortung, aber von Einzelkämpfertum halte ich nichts.»