Antibiotikaresistente Bakterien bedrohen zunehmend die Errungenschaften der modernen Medizin. Silvio Brugger, Infektiologe am Universitätsspital Zürich, forscht mit seinem Team an einer neuen Therapieform: Statt die Infektion mit Antibiotika zu bekämpfen, soll das Mikrobiom der Atemwege so verändert werden, dass Erreger dort keine Chance haben.
Die menschlichen Atemwege sind keine sterile Zone. Wie der Darm sind auch die Atemwege (von der Nase bis in die Lunge) von verschiedenen Mikroorganismen besiedelt, die in ihrer Gesamtheit das Mikrobiom der Atemwege (respiratorisches Mikrobiom) bilden und wichtige Aufgaben für das «Lungenklima» erfüllen. Eine zentrale Funktion des respiratorischen Mikrobioms ist die Abwehr von Krankheitserregern, die durch den Aussenkontakt der Atemwege mit der Umwelt bis in die Lunge gelangen können.
Antibiotika: Schwierige Entwicklung und rasche Resistenz
Zur Bekämpfung bakterieller Erreger kommen häufig Antibiotika zum Einsatz. Immer mehr Erreger sind jedoch gegen die Antibiotika resistent und die Medikamente damit für die Behandlung schwerer Infektionen verloren – mit weltweit gravierenden Folgen, wenn die lebensrettenden Medikamente bei darauf angewiesenen Patientinnen und Patienten nicht mehr wirken. Wirksame antibiotische Behandlungen sind zudem eine zentrale Voraussetzung für moderne medizinische Massnahmen wie Organtransplantationen und neue onkologische Therapien.
Die Entwicklung neuer Antibiotika ist schwierig und nur sehr wenige Substanzen wurden in den letzten Jahren zugelassen. Weil die meisten neuen Antibiotika auf Modifikationen bestehender Antibiotika aufbauen, entstehen auch rasch wieder Resistenzen gegen die Nachfolger. Die Forschung sucht deshalb nach neuen Ansätzen der Infektionsbekämpfung, die helfen, Antibiotika weniger einzusetzen und deren Wirksamkeit so zu erhalten.
Das Atemwegsmikrobiom gezielt gegen Erreger stärken
In den letzten Jahren haben Untersuchungen des menschlichen Mikrobioms der Atemwege gezeigt, dass gewisse gutartige Bakterien eine hemmende Wirkung auf zwei der gefährlichsten Bakterien, Streptococcus pneumoniae und Staphylococcus aureus, zeigen. Ein Forschungsteam um Silvio Brugger, Oberarzt in der Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene des USZ, untersucht in einem Forschungsprojekt, wie sich diese hemmende Wirkung für die Therapie bakterieller Infektionen nutzen lässt. Dafür untersucht das Team im Labor an verschiedenen Modellen die Wechselwirkung der gutartigen und der krankheitserregenden Bakterien im Mikrobiom der Atemwege. Auf dem Wissen über diese Wechselwirkung aufbauend, soll dann in einem weiteren Schritt herausgefunden werden, wie das Mikrobiom durch gezielte Beeinflussung so verändert werden kann, dass sich die krankheitserregenden Bakterien in den Atemwegen nicht mehr ansiedeln können und somit eine Infektion verhindert oder bekämpft wird. Sind die Ergebnisse aus dem Labor aussichtsreich, werden sie in einem letzten Schritt in einer klinischen Studie in der Praxis überprüft.
Auf andere Erreger übertragbare und einfach umsetzbare Therapie
«Gelingt uns dies, ist das ein völlig neuer Ansatz zur Bekämpfung bakterieller Infektionen ohne den Einsatz von Antibiotika», so Silvio Brugger. «Jede Nichtverwendung von Antibiotika trägt dazu bei, Resistenzen zu verhindern und die Wirkung dieser Medikamente zu erhalten.» Stellt sich der Ansatz als wirksame Therapie heraus, könnten damit auch gezielt gegen andere krankheitserregende Bakterien gerichtete Veränderung des Mikrobioms entwickelt werden. «Und nicht zuletzt», so Brugger, «könnte diese Therapieform sich auch in Regionen mit beschränkten Ressourcen im Gesundheitsbereich umsetzen lassen und dort die Behandlungsmöglichkeiten bakterieller Infektionen massiv verbessern.»
Das im Januar 2023 angelaufene und vom Schweizerischen Nationalfonds mit einem SNSF Starting Grant sowie von der Gebert-Rüf Stiftung und FreeNovation geförderte Projekt soll Ende 2027 erste Ergebnisse liefern.