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Stress besser verstehen

Publiziert am 09. September 2022

Weltweit klagen immer mehr Menschen über Stress am Arbeitsplatz oder im Privatleben. Auch schwerere Stressoren oder Traumatisierungen gehören zu unserem Alltag: Im Laufe ihres Lebens werden bis zu 90 Prozent der Menschen mindestens einmal mit einem traumatischen Ereignis konfrontiert, wie zum Beispiel einem Unfall, einer Naturkatastrophe, schwerer Gewalt oder gar Krieg.

Gastbeitrag von Birgit Kleim, Professorin für Experimentelle Psychopathologie und Psychotherapie, Universität Zürich

Grundsätzlich ist das Erleben von Stress in diesem Kontext völlig normal – die körperliche und psychische Reaktion sowie die wahrgenommene Belastung dienen dazu, sich an veränderte Situationen und Umweltbedingungen anzupassen. Stress hat langfristig jedoch klar negative Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit und ist ein Risikofaktor für chronische Erkrankungen. Fast die Hälfte aller Personen, die regelmässig Stress ausgesetzt sind, entwickelt psychische Symptome wie Erschöpfung oder Angst. Stressabhängige körperliche und psychische Stresspathologien können bisher nicht gut diagnostiziert und vor allem nicht vorhergesagt werden.

Um dieses Problem anzugehen, haben Expertinnen und Experten aus den Bereichen Psychiatrie und Psychologie, der Neurowissenschaften, Zell- und Molekularbiologie, Kardiologie, Ingenieurwissenschaften und der translationalen Bioinformatik das Projekt STRESS ins Leben gerufen. Ziel des Konsortiums ist es, das Risiko von und die Widerstandsfähigkeit gegen Stressbelastungen über die gesamte Lebensspanne hinweg sowie deren Auswirkungen auf die Gesundheit zu untersuchen.

Das STRESS-Projekt entwickelt ein Forschungsprogramm, um besser zu verstehen, welcher Zusammenhang zwischen Stressbelastung und Hirnfunktionsstörungen sowie physiologischen Symptomen besteht und was die zugrunde liegenden Mechanismen sind. STRESS wird die jüngsten Fortschritte im Bereich der digitalen Gesundheit und der Verhaltensforschung beim Menschen sowie wichtige Innovationen bei zellulären Modellen und molekularen Werkzeugen für die Erstellung von Genom-/Epigenomprofilen in präklinischen Modellen nutzen. Das Projekt nutzt diese Technologien sowie neue Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen Stress, Gesundheit und dem noradrenergen System, um phänotypische und prädiktive Signaturen stressbedingter Pathologien von der Kindheit bis zum Erwachsenenalter zu ermitteln und neue Ansätze für deren Diagnose und präventive Behandlung zu entwickeln.

Eine Stärke des Projekts liegt in der Integration unterschiedlicher Daten aus menschlichen Kohortenstudien und Tiermodellen über das gesamte Leben hinweg. Diese werden durch maschinelles Lernen zusammengebracht. Ziel ist es, grundlegendes Wissen zu schaffen über neuronale Mechanismen, die Menschen stressresilient machen, aber auch die Entwicklung und Einführung innovativer Instrumente für Diagnostik und Intervention. Hier ist vor allem ein portables Neurofeedbacksystem ein wichtiger Teil des Projekts, das Personen erlauben soll, neuronale stressbezogene Areale, wie beispielsweise das Hirn-Erregungssystem, mittels eines einfachen Feedbacksystems zu regulieren und somit Stress zu reduzieren oder gar vorzubeugen.