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Takotsubo-Syndrom: Der tückischen Erkrankung auf der Spur

Publiziert am 05. Mai 2022

Das Takotsubo-Syndrom oder «Broken-Heart»-Syndrom wird häufig fehldiagnostiziert. Das liegt nicht nur an der Verwechslung mit Herzinfarkten. Wie künstliche Intelligenz bei der Diagnose hilft und wie Betroffene am Universitätsspital Zürich unterstützt werden.

Das Takotsubo-Syndrom (TTS) verursacht mit Brustschmerzen, Atemnot, praktisch identischen EKG- und Laborveränderungen nahezu die gleichen Symptome wie ein Herzinfarkt. Doch im Gegensatz zum Herzinfarkt ist beim TTS kein Gefäss verschlossen, sondern man geht davon aus, dass es sich um einen Spasmus der Mikrozirkulation handelt, wodurch die Pumpfunktion des Herzens akut gestört ist. Nach dieser akuten Phase erholen sich die meisten Betroffenen wieder. Dennoch: Etwa zehn Prozent der Patientinnen und Patienten erleiden während der Akutphase einen kardiogenen Schock. Bei rund der Hälfte der Erkrankten führt dies zum Tod.

«Wir gehen heute davon aus, dass es sich bei rund vier Prozent aller diagnostizierten Herzinfarkte eigentlich um das Takotsubo-Syndrom handelt», sagt Prof. Dr. Christian Templin, Leiter der Interventionellen Kardiologie an der Klinik für Kardiologie des USZ. Hier werden jährlich 30 bis 40 Fälle des TTS diagnostiziert. «Weltweit wird die Diagnose zwar immer häufiger gestellt, aber wir müssen von einer sehr hohen Dunkelziffer ausgehen, denn es gibt auch grössere Herzzentren, in denen keine Fälle des Takotsubo-Syndroms diagnostiziert werden.» Hier brauche es eine breitere Sensibilisierung der Kardiologinnen und Kardiologen sowie der Ärzteschaft, sagt Templin.
Der Kardiologe gehört zu den international führenden Forschern dieser Erkrankung und leitet das weltweit grösste Takotsubo-Register, dem 60 kardiovaskuläre Zentren aus 18 Ländern angeschlossen sind. Jüngste Erkenntnisse über die Ursachen, Diagnose und Behandlung sind unter anderem dank diesem Register möglich geworden.

Diverse Ursachen nicht nur wegen gebrochenem Herzen

Bisher bekannt ist, dass emotionale Extremsituation wie der Tod eines Angehörigen, eine Trennung, Stress oder Mobbing am Arbeitsplatz, aber auch extrem freudige Ereignisse Auslöser für das TTS sind. Daher spricht man auch vom «Broken-Heart-Syndrom». «Doch inzwischen wissen wir, dass physische Extremsituationen das Takotsubo-Syndrom häufiger triggern als emotionale Auslöser», sagt Templin. Solche Auslöser sind etwa Asthma-, Schlaganfälle, epileptischen Anfälle oder auch die Verabreichung von Stresshormon-Medikamenten im Zusammenhang mit der Narkose bei Operationen. «Zudem haben wir festgestellt, dass TTS-Betroffene nicht selten psychologische Begleiterkrankungen wie Depressionen oder Angstzustände haben», sagt Templin.

Bereits 2015 leitete er eine internationale Studie, bei der Neurologen und Neurowissenschaftler zeigen konnten, dass funktionelle Veränderungen im Hirn von Betroffenen mit Takotsubo-Syndrom bestehen, dass man also von einer Hirn-Herz-Assoziation ausgehen muss.

Differenzialdiagnose nicht nur im Zusammenhang mit Herzinfarkt

Die Diagnose eines TTS ist nach wie vor schwierig. Nicht nur weil die Symptome auf einen Herzinfarkt schliessen lassen, sondern auch weil die spontane Koronararteriendissektion (SCAD) praktisch identische Symptome wie das TTS verursacht, wodurch es ebenfalls zu Fehldiagnosen kommen kann.
«Wir verstehen viele Krankheiten sehr gut, aber beim TTS und der SCAD ist es essentiell, sie weiter klinisch zu charakterisieren», betont Templin. «Deshalb haben wir nun mit den Kooperationspartnern des Takotsubo-Registers ein internationales SCAD-Register erstellt.» Beide Erkrankungen zeigen sehr ähnliche Ursachen.

Künstliche Intelligenz als Chance für bessere Diagnose

Jüngst konnten das Universitätsspital Zürich und die ETH Zürich künstliche Intelligenz nutzen, um besserer Diagnoseresultate zu erzielen. Dabei wurden rund 450 Echokardiogramme vier Echokardigrapheuren vorgelegt. Sie sollten auswerten, ob es sich um einen Herzinfarkt oder das TTS handelt. Das gleiche hat man mit künstlicher Intelligenz an der ETH gemacht. Bei der KI lag die Trefferquote bei 79 Prozent, bei den Echokardiographeuren lag sie zwischen 68 und 74 Prozent. Die Resultate seien vielversprechend. Nun brauche es weitere Studien, sagt Templin.

Behandlungsmöglichkeiten und Forschungsbedarf

Bisher gibt es für das TTS kaum Behandlungsmöglichkeiten mit Medikamenten. Umso wichtiger sei die enge Begleitung und die umfassende Aufklärung der Betroffenen. «Wir stellen die Diagnose in der akuten Phase im Herzkatheterlabor und später erfolgen regelmässige Ultraschallkontrollen, EKG und Laboranalysen, bis eine komplette Erholung eingetreten ist», erklärt Templin. Patientinnen und Patienten aus der ganzen Welt kommen für diese gezielten Untersuchungen in das etablierte internationale Referenzzentrum. Mit Zustimmung der Patientinnen und Patienten, werden sie ins internationale Takotsubo-Register aufgenommen.

Beim mit Abstand häufigsten Typ, dem apikalen TTS, steht die Spitze der linken Herzkammer still und nur noch die Basis pumpt Blut, wodurch es zum kardiogenen Schock kommen kann. In diesem Fall hat sich die Impella-Pumpe, die via Leiste eingesetzt wird, als erfolgreiche Behandlung erwiesen. «Wir machen diesen Eingriff etwa in 40 Fällen pro Jahr, auch bei Herzinfarkten», sagt Templin. Die Patientinnen und Patienten werden nach dem Eingriff eng betreut.

Christian Templin, Prof. Dr. Dr. med.

Leitender Arzt, Klinik für Kardiologie

Tel. +41 44 255 95 85
Spezialgebiete: Komplexe Koronarinterventionen, Akutes Koronarsyndrom inkl. kardiogener Schock mit Herzunterstützungssystem (Impella), Transkatheter-Klappeninterventionen

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