Teilen sich eineiige Zwillinge die Plazenta im Mutterleib, kann dies zu einer Fehlversorgung der Kinder führen. Eine lebensbedrohliche Komplikation für eines oder beide Kinder. Mit einem operativen Eingriff versuchen Ärzte dann, die Gefässverbindungen in der Plazenta mittels Laser zu verschliessen. Die Gynäkologin Nicole Ochsenbein-Kölble führt diese Operationen seit 2008 am USZ durch.
Frau Ochsenbein, wie häufig tritt diese Komplikation auf und warum ist sie für die ungeborenen Kinder so gefährlich?
Etwa zwei Prozent aller Schwangerschaften in der Schweiz sind Zwillingsschwangerschaften. Davon sind etwa 200 pro Jahr vom Zwillingstransfusionssyndrom oder Feto-fetalem Transfusionssyndrom betroffen. Bei etwa 30 wird ein Eingriff gemacht, etwa die Hälfte davon am Inselspital in Bern, die andere Hälfte bei uns am USZ.
Wir sind die einzigen Kliniken in der Schweiz, die diese Operation durchführen.
Beim Zwillingstransfusionssyndrom wird das Blut nicht gleichmässig auf die beiden Feten verteilt, weil einer von ihnen mehr Blut zum anderen pumpt. Diese Fehlversorgung beeinträchtigt die Entwicklung der Kinder und belastet unter anderem deren Herzen. Behandelt man nicht rechtzeitig, stirbt fast immer eines der Kinder oder es sterben sogar beide. Wenn es gut geht, holen die Kinder aber auch wieder auf und tragen keinen bleibenden Schaden davon.
Es wird aber offensichtlich nur bei einem Teil der Fälle operiert?
Ja. Das Schwierige bei dem Syndrom ist zu entscheiden, ob und wann eingegriffen werden soll. In einigen Fällen ist klar, dass sofort gehandelt werden muss. Mitunter reguliert sich die Versorgung aber auch wieder von alleine; da reicht es, die Schwangerschaft erst einmal eng zu überwachen. Das Zwillingstransfusionssyndrom kann zu jedem Zeitpunkt in der Schwangerschaft auftreten, aber nicht in jeder Phase können wir operieren. Ist die Schwangerschaft noch am Anfang und die Operation nicht dringend, können wir oft noch etwas abwarten bis zu einem Zeitpunkt, an dem die Kinder auch bei einer Frühgeburt gute Überlebenschancen haben.
Wie läuft die Operation ab?
Die Mutter bekommt nur eine örtliche Betäubung, dazu ein Schlafmittel. Das sorgt dafür, dass die Kinder und die Mutter etwas ruhiger sind. Über einen kleinen Einstich werden ein optisches Gerät und eine Laserfaser in die Gebärmutter eingeführt. Mit dem Laser trenne ich dann Blutgefässe in der Plazenta und schaffe so jedem Kind einen eigenen Anteil daran. Manchmal ist es auch nötig, die Nabelschnur des einen nicht überlebensfähigen Zwillings zu verschliessen, damit der andere überleben kann. Während der Operation überwachen wir die Situation permanent durch Ultraschall.
Eine hochriskante Operation. Welche Komplikationen kann es geben?
Vor jeder OP muss man Respekt haben, weil man trotz bester Abklärung nie ganz genau weiss, was man antrifft. Neben unregelmässigen Atembewegungen der Mutter, die die Operation erschweren, fürchten wir vor allem einen vorzeitigen Blasensprung und eine Frühgeburt mit all ihren Gefahren. Bei dem Eingriff wird die Fruchtblase durchstochen, das löst leider häufig einen Blasensprung aus. Das Risiko dafür beträgt bis zu 50 Prozent.
Das heisst, die Eltern und Sie müssen damit rechnen, dass eines der Kinder oder beide sterben.
Die Überlebenschance der Kinder liegt für ein Kind bei 80-90 Prozent, je nach Situation für beide bei 50 Prozent. Wir sprechen ganz offen mit den Eltern darüber. Das sind schwierige, aber wichtige Gespräche. Letztlich müssen die Eltern den Entscheid zur Operation fällen. Wir können ihnen auch keine Versprechungen über den Ausgang machen. Wir erleben selber Überraschungen, etwa dass ein Kind, das unterversorgt und deshalb winzig war, gegen alle Wahrscheinlichkeit aber überlebt und gesund zur Welt kommt.
Die Operation gehört zur Spitzenmedizin; Sie führen sie seit einigen Jahren durch. Welche Fortschritte wünschen Sie sich noch für die Zukunft?
Wir forschen intensiv, wie wir die häufigste Komplikation, den frühzeitigen Blasensprung vermeiden können. Dafür muss es uns gelingen, die Fruchtblase rasch zu verschliessen oder zur Heilung anzuregen. Wir haben dafür eine Art Schirmchen entwickelt, das beim Entfernen der Instrumente zurückbleibt und die Öffnung automatisch von innen verschliesst. Das testen wir nun. Auch bei den Instrumenten sind noch Verbesserungen möglich.
Sie haben eine ganze Galerie von Kinderbildern, die Sie an geglückte Eingriffe erinnern. Gibt es einen Fall, der für Sie ganz besonders ist?
Die medizinisch interessanten und herausfordernden Fälle, sind das eine. Als ein Paar seine Zwillingsmädchen dann mit den Zweitnamen nach meiner Kollegin Franziska Krähenmann und mir benannte, war das jedoch schon sehr berührend und hat uns enorm gefreut.
Nicole Ochsenbein-Kölble, Prof. Dr. med., ist Leitende Ärztin in der Klinik für Geburtshilfe. Die Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe arbeitet seit 1998 am USZ. Sie ist Spezialistin für fetomaternale Medizin und insbesondere Mehrlingsschwangerschaften. Nicole Ochsenbein-Kölble ist verheiratet und Mutter von vier Kindern.