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Wenn das Herz stürmt, stolpert oder stillsteht

Zuletzt aktualisiert am 10. Dezember 2021 Erstmals publiziert am 08. Dezember 2021

Viele Menschen kennen das: Plötzlich setzt das Herz einen Schlag aus. Oder es schlägt scheinbar ohne Grund rasend schnell. Beides kann unangenehm werden und Angst machen. Nicht immer grundlos. Die gute Nachricht ist aber: Die meisten Arrhythmien sind gut behandelbar.

Täglich schlägt unser Herz rund 100’000 Mal. Durch rhythmische Kontraktionen wird das Blut aus den Vorhöfen in die Hauptkammern gepresst. Von der rechten Hauptkammer gelangt es in die Lunge, wo es mit Sauerstoff angereichert und über den linken Vorhof zum Herzen zurückgeführt wird. Die linke Hauptkammer pumpt das Blut sodann über die Hauptschlagadern in den Körper, zu Organen und Muskeln, um diese mit Sauerstoff zu versorgen.
Die Bewegungen der beiden Vorhöfe und Hauptkammern sind exakt aufeinander abgestimmt und werden vom sogenannten Sinusknoten aus über elektrische Impulse gesteuert. Ist die elektrische Leitung gestört, gerät das Herz ausser Takt und damit auch der koordinierte Blutfluss. Und das kann gefährlich werden.

Zwei Arten von Herzrhythmusstörungen

Bei Herzbeschwerden gilt es immer als Erstes abzuklären, ob die Ursache in einer zugrundeliegenden Erkrankung liegt. Das kann ein Herzinfarkt sein, aber auch Probleme mit den Herzklappen oder ein angeborener Herzfehler. In diesen Fällen wird zuerst die Grunderkrankung therapiert. Im besten Fall wird dadurch auch die Herzrhythmusstörung behoben. Findet sich dagegen keine Grunderkrankung, handelt es sich primär um ein elektrisches Problem. Das ist bei rund der Hälfte aller Patientinnen und Patienten, die wegen Herzrasen oder Herzstolpern in die Abklärung kommen, der Fall.

Wiederbelebung

Was gemeinhin als Herzstillstand bezeichnet wird, ist sehr oft auch das Gegenteil: Die Herzkammern «flimmern» mit bis zu 500 Schlägen pro Minute. Dadurch kommt der Blutfluss praktisch zum Erliegen, die lebensnotwendige Versorgung mit Sauerstoff versiegt. Jetzt zählt jede Sekunde: Die Überlebenschance sinkt in diesem Zustand um 10 Prozent pro Minute. Reanimation mittels Herzmassage ist wichtig, um mechanisch einen minimalen Blutfluss zu gewährleisten. Stoppen lässt sich das Flimmern aber nur mit dem Defibrillator: Der starke Stromstoss kann wieder Ordnung in die elektrischen Ströme im Herzen bringen. Damit Vorhöfe und Kammern wieder rhythmisch im gewohnten Takt schlagen.

Eine Landkarte der Herzsröme

Aber wie findet man heraus, wo die Störung entsteht? «Wir sind heute in der Lage, eine eigentliche ‹elektrische Landkarte› des Herzens zu erstellen», erklärt Firat Duru. «Dazu provozieren wir mittels Katheter den Herzmuskel und messen zugleich über zwei weitere Katheter, wie sich die elektrischen Ströme verbreiten.» Anschliessend wird die Stelle, die die Störung verursacht, mittels Radiofrequenzenergie lokal verödet. In der Regel können die Patienten noch am gleichen Tag wieder nach Hause gehen.
Bei manchen Menschen liegt das Problem aber nicht an einer einzelnen Stelle, sondern im Herzmuskel selbst. Die gefährliche Muskelkrankheit ist schwierig zu entdecken. «Leider ist der plötzliche Herztod oftmals das erste Anzeichen dieser Krankheit», wie Firat Duru sagt. Es ist das Bild, das spätestens seit der Fussballeuropameisterschaft im Sommer 2021 viele kennen: ein Fussballspieler, der plötzlich zusammenbricht und nur dank sofortiger Reanimation gerettet werden kann.

Noch zu oft zu spät erkannt

Die heimtückische Krankheit hat einen komplizierten Namen: Arrhythmogene rechtsventrikuläre Cardiomyopathie (ARVC). Bis heute weiss man nur sehr wenig darüber. Die Krankheit ist in vielen Fällen vererbt, begünstigt wird sie oft durch grosse körperliche Anstrengung, wie sie im Spitzensport vorkommt. «Im Profifussball sind Gesundheitschecks mit Belastungstests vielerorts inzwischen Routine», so Firat Duru. Besteht der geringste Verdacht auf Unregelmässigkeiten, werden die Sportler zur vertieften Abklärung in ein medizinisches Zentrum geschickt.
«Die Diagnose ist aber noch immer schwierig zu stellen, sodass die Erkrankung oft nicht erkannt und auch unterschätzt wird», ergänzt Corinna Brunckhorst. Vor genau zehn Jahren hat sie zusammen mit Firat Duru ein Schwerpunktzentrum für ARVC am Universitären Herzzentrum gegründet und ein spezialisiertes Team aufgebaut. Zusammen erforschen sie diese komplexe und unterschätzte Krankheit auf der Suche nach spezifischen Biomarkern, Einflussfaktoren von Sport und Hormonen sowie eindeutigen diagnostischen Kriterien. «Bei Betroffenen stellen wir häufig die Indikation für einen implantierbaren Defibrillator.» Bei einer akuten, lebensgefährlichen Herzrhythmusstörung gibt dieser einen Stromstoss ab, der die normale Herzaktivität wieder herstellt. «Das ist eine Lebensversicherung für die oft noch jungen Patientinnen und Patienten.»
Beide Kardiologen betonen aber: ARVC ist relativ selten, ein generelles Screening für Hobbysportler nicht angezeigt. Von entscheidender Bedeutung ist jedoch, auf seine Herzgesundheit zu achten und einen gesunden Lebensstil zu pflegen. «Das Herz ist das einzige Organ, das wir so direkt spüren», meint Corinna Brunckhorst mit einem Lächeln, «umso mehr sollten wir darauf achten.»

Zurich ARVC Program

Das Universitätsspital Zürich ist weltweit führend in der Forschung zu ARVC. Das Programm unter der Leitung von Firat Duru und Corinna Brunckhorst wurde bereits 2011 etabliert mit dem Ziel, das Verständnis für die Erkrankung und damit auch deren Diagnostik und Therapie zu verbessern. Seit 2018 arbeitet das USZ eng mit der Johns Hopkins University in den USA zusammen, um gemeinsam ein Risikomodell für ARVC zu erarbeiten. Unterstützt wird das Projekt unter anderem durch die USZ Foundation und den Schweizerischen Nationalfonds (SNF).

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