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Wenn die Organe versagen

Zuletzt aktualisiert am 19. Juli 2021 Erstmals publiziert am 14. Mai 2021

Die meisten Kinder, die sich mit COVID-19 infizieren, erkranken gar nicht oder nur leicht. In Einzelfällen können sie jedoch ein sogenanntes «Multisystem Inflammatory Syndrome in Children (MIS-C)» entwickeln. Das kann schnell lebensbedrohlich werden.

Das Multisystem-Entzündungssyndrom (MIS) ist eine schwerwiegende Erkrankung, die nach einer Infektion mit COVID-19 auftreten kann. Sie kommt bei Kindern (MIS-C) und bei Erwachsenen (MIS-A) vor. Hierbei führt eine Entzündungsreaktion des Körpers zur Beeinträchtigung oder zum Ausfall einzelner oder mehrerer Organe: Herz, Lunge, Nieren, Blutgefässe, Gehirn, Haut, Augen und das Verdauungssystem können unterschiedlich stark betroffen sein. „Auch andere virale Infektionen, wie z.B. eine reguläre Grippe können in Extremfällen eine Herzmuskelentzündung auslösen. MIS verläuft aber viel fulminanter“, erklärt Dominique Bettex. Sie ist leitende Ärztin und hat jahrelange Erfahrung mit Intensivpatientinnen und -patienten. Die Anästhesistin war massgeblich an der Behandlung einer 17-jährigen Patientin beteiligt, die im März mit einem schweren Verlauf von MIS-C im USZ behandelt wurde.

Das Herz ist drei Tage ausgestiegen

„Die Patientin kam sechs Wochen nach ihrer symptomfreien COVID-19-Infektion wegen Bauchbeschwerden und allgemeinem Unwohlsein in ein auswärtiges Spital“,  erzählt Andreas Flammer. Die Spezialisten vermuteten anfänglich einen Harnwegsinfekt und dann eine Darmentzündung – und behandelten entsprechend mit Antibiotika. Das nützte nichts, der Zustand der Patientin verschlechterte sich innert Stunden. Der Kreislauf der Patientin wurde schliesslich so instabil, dass sie an eine sogenannte Herz-Lungenmaschine (ECMO) angeschlossen werden musste und zur weiteren Therapie ans USZ verlegt wurde. Die Ärzte stellten fest, dass das Herz betroffen war. „Innert kürzester Zeit hat das Herz aufgehört zu pumpen“, erzählt Andreas Flammer, leitender Arzt der Kardiologie. Die Patientin hat einen sogenannten kardiogenen Schock erlitten. „Einen sich so rapide verschlechternden Verlauf haben wir zuvor kaum je gesehen“. Das Herz pumpte nicht mehr richtig weshalb in der Folge das ganze Herz-Kreislaufsystem zusammengebrochen ist. Das Blut staute in die Lunge zurück, was zu Wasser auf der Lunge führte. Nun drohte zusätzlich ein Gerinnsel im Herzen. „Deshalb haben wir die Patientin zusätzlich zum ECMO an eine Flusspumpe (Impella) angeschlossen“, ergänzt Dominique Bettex. Diese pumpt das Blut von der linken Hauptkammer des Herzens in den Blutkreislauf, mit dem Ziel, die Gefahr eines Gerinnsels zu mindern.

Interdisziplinäre Behandlung

Fünf Tage später verbesserte sich der Zustand der Patientin und nach weiteren sieben Tagen konnte sie das USZ bereits wieder verlassen und in die Rehabilitation übertreten – nach 31 Tagen am USZ und ohne Folgeschäden. „Eine so schnelle Regenerierung mit einem wieder normal funktionierenden Herzen haben wir noch selten beobachtet“, so Dominique Bettex. Für die Behandlung und letztlich das Überleben entscheidend war die Möglichkeit, das Herz mittels ECMO und Impella gezielt zu unterstützen.
Ebenso entscheidend war die interdisziplinäre Zusammenarbeit der Spezialisten: „Kardiologie, Herzchirurgie, Anästhesie, Immunologie und Infektiologie des USZ sowie die Kinderintensivmedizin des Universität-Kinderspitals Zürich haben zusammengearbeitet“, so Andreas Flammer. Auch von Seiten Pflege war der Fall speziell: „Schwierig bei der Betreuung der Angehörigen war, dass wir auf keine Erfahrungswerte zurückgreifen konnten“, sagt Fachexpertin Intensivpflege Barbara Kahn. Weshalb einzelne Kinder am MIS-C erkranken, die meisten anderen aber nicht, ist noch nicht klar. Es scheint sich um eine immunologische Fehlreaktion zu handeln, die dazu führt, dass das Immunsystem massiv unter Druck gerät. Die Spezialisten am USZ haben deshalb auch eine Biopsie des befallenen Herzens durchgeführt. Die Gewebeprobe wird nun von den Pathologinnen untersucht, um mehr Erkenntnisse über MIS zu gewinnen. Zum Glück sind solch schwere Fälle extrem selten.