Chronische Wunden

Der menschliche Körper besitzt die Fähigkeit, unkomplizierte Wunden der Haut und Schleimhäute innert kurzer Zeit zur Abheilung zu bringen. Einige Krankheiten können jedoch die ausgezeichneten Heilungsmechanismen der Natur stark behindern.

Chronische Wunden sind definiert, dass sie auch nach acht Wochen guter Pflege keine Heilungstendenz zeigen. Die typischen Ursachen sind Durchblutungsstörungen der Arterien und Venen, Diabetes mellitus, Mangelernährung und Infektionen. Chronische Wunden sind belastend und führen zu physischer und psychischer Erschöpfung. Sie sind vor allem im Alter wesentlich häufiger als allgemein angenommen. Die Behandlung und auch das Vorbeugen sind wichtig. Lesen Sie alles über die Symptome und Behandlungen bei chronischen Wunden.

Überblick: Was sind chronische Wunden?

Die häufigsten chronischen Wunden betreffen die Unterschenkel und Fusssohlen. An der Innenseite der Unterschenkel ist der venöse Rückstau die häufigste Ursache chronischer Wunden. An der Aussenseite der Unterschenkel und an den Fussrücken finden sich die Wunden, welche durch Arterienverkalkung entstehen. Diabetes mellitus, Rauchen, hohe Blutfettwerte und hoher Blutdruck sind die typischen Risikofaktoren für eine raschere Arterienverkalkung. An der Fusssohle finden sich die diabetischen Fuss-Ulzera (= „Malum perforans“). Sie entstehen dann, wenn die Fussnerven zugrunde gehen, am häufigsten durch Diabetes mellitus. Dekubitus (Wund-Liegen) kommt fast nur bei Mangelernährung vor.

Chronische Wunden – Häufigkeit und Alter

In der Schweiz gehören chronische Wunden zu den häufigsten Krankheitsbildern. Ärztinnen und Ärzte gehen davon aus, dass im Laufe des Lebens etwa ein Prozent der Bevölkerung unter einem „offenen Bein“ (Ulcus cruris, Geschwüre an Bein oder Knöchel) leidet. Dies ist eine häufige Art von chronischen Wunden. Bei den 80-Jährigen sind es schon mehr als drei Prozent. Ein schlecht eingestellter oder unentdeckter Diabetes mellitus kann die Fussnerven schädigen, so dass das Gefühl in den Sohlen abnimmt, was zu punktuellen Überlastungen und zum diabetischen Fuss-Ulkus (= Malum perforans) führen kann.

Chronische Wunden: Ursachen und Risikofaktoren

Die Ursachen von chronischen Wunden sind meist andere Grunderkrankungen. Sie führen dazu, dass Wunden schneller entstehen – manchmal schon durch leichten Druck – und dann nicht mehr abheilen. Die wichtigsten Krankheiten und Risikofaktoren, die mit der Entstehung chronischer Wunden verknüpft sind:

  • Periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK, Schaufensterkrankheit, Raucherbein): Hinter dem Kürzel PAVK verbergen sich Durchblutungsstörungen, die auf verengte oder verschlossene Arterien (Schlagadern) zurückgehen. Die Arterien sind Gefässe, welche mit dem frischen Blut den Sauerstoff und die Nährstoffe in die Haut, Muskeln und Knochen transportieren. Vier Haupt-Risikofaktoren beschleunigen die Arterienverkalkung: Schlecht eingestellter Diabetes mellitus, Rauchen, hohe Blutfettwerte, und Bluthochdruck.
  • Chronisch-venöse Insuffizienz (CVI) durch Krampfadern (Varizen) oder nach durchgemachten tiefen Beinvenen-Thrombosen: Das Blut kann nicht mehr richtig aus den Venen abfliessen und „versackt“ in den Beinen. Das überwässerte Haut- und Muskelgewebe verhärtet und wird anfälliger für chronische Wunden.
  • Diabetisches Fusssyndrom Ein langfristig erhöhter Blutzuckerspiegel schädigt die Blutgefäße und Nerven, besonders an den Füßen. Aufgrund des verminderten Schmerzempfindens spüren Diabetikerinnen und Diabetiker Druckstellen – etwa wenn die Schuhe zu eng sitzen – und kleinere Verletzungen nicht. Ausserdem ist die Durchblutung vermindert und das Gewebe erhält nicht genügend Blut, Sauerstoff und Nährstoffe. So steigt das Risiko für chronische Wunden. Das diabetische Fusssyndrom ist die häufigste Ursache für Unterschenkel-Amputationen.
  • Geschwächtes Immunsystem: Es gibt viele Faktoren, die das Abwehrsystem schwächen, zum Beispiel Krankheiten wie Krebs oder Infektionen. Sie können die Wundheilung beeinträchtigen und chronische Wunden begünstigen. Auch bei älteren Menschen ist das Immunsystem oft geschwächt – wegen des Alters selbst, aber manchmal auch aufgrund einer schlechten Ernährungsweise.
  • Mangelernährung kombiniert mit häufigem Sitzen oder Liegen: Manche Menschen sind im Alter oder aufgrund einer Erkrankung längere Zeit bettlägerig. Dann wirkt ein permanenter Druck durch das eigene Körpergewicht auf die Haut ein und erhöht die Wahrscheinlichkeit für ein Druckgeschwür (Dekubitus). Auch Menschen, die an den Rollstuhl gebunden sind, haben ein erhöhtes Risiko für diese Art von chronischen Wunden. Mangelernährte Menschen haben ein wesentlich höheres Risiko, einen Dekubitus zu entwickeln. Die Ernährung und die geschickte Lagerung sind daher bei chronisch kranken und geschwächten Menschen besonders wichtig.
  • Durch Unfälle: Unfälle gehen in der Regel mit Quetschungen von Weichteilen und Gliedmassen einher. Je nach Ausmass der Weichteilschäden kann es entweder primär oder auch sekundär zu offenen Verletzungen der Haut und der unterliegenden Gewebe, wie des Unterhautfettgewebes, der Muskel, der Sehnen oder Knochen kommen. Ein durch einen Unfall verursachte offene Wunde mit einem umgebenden gequetschten Hautareal kann in Folge eine schwierige Wundheilung mit sich bringen. In der Regel ist die Durchblutung der Weichteile lokal geschädigt. Dies bedeutet, dass die Wundheilung sich verzögern kann, da eine verminderte Durchblutung mit einer Abnahme der lokalen Sauerstoffsättigung und des Transports der erforderlichen Wundheilungsbestandteile einher geht. Wenn dann auch noch erschwerend ein Knochenbruch in diesem gequetschten Hautareal vorliegt, kann je nach Ausmass der unfallbedingten Gefässschäden, die Knochenbruchehilung auch nachteilig beeinträchtigt werden.

Symptome: Chronische Wunden sind oft schmerzhaft

Die meisten chronischen Wunden sind – mit wenigen Ausnahmen – schmerzhaft. Sehr oft ist der Schlaf der Patientin oder des Patienten gestört. Schmerzen und Schlafmangel zermürben und führen zu depressiven Zuständen. Die Hautumgebung rund um die chronische Wunde ist oft entzündet. Die Ursachen sind vielfältig. Am häufigsten zeigt die Umgebungshaut ein Ekzem, zum Beispiel aufgrund der Feuchtigkeit rund um die Wunde, oder aufgrund von Allergien. Nicht so selten ist der Wundgrund in relevantem Ausmass von Bakterien besiedelt, welche ab einer gewissen Menge die Wundheilung behindern können.

  • Juckreiz
  • Nässen
  • unangenehmer Geruch durch Infektion mit Bakterien oder abgestorbenes Gewebe
  • gelbliche, schmierige oder schwarze Beläge
  • Hautverfärbungen um die Wunde herum – rötlich bis bräunlich
  • Schwellungen in der Umgebung der Wunde
  • eingeschränkte Beweglichkeit wegen der Schmerzen und Schwellungen
  • Schlafstörungen aufgrund der Schmerzen und des Juckreizes

Besuchen Sie immer Ihre Ärztin oder Ihren Arzt, wenn Sie eine Wunde haben, die nicht heilen will. Man geht den Ursachen auf den Grund und kann die Wunde fachgerecht behandeln.

Chronische Wunden: Diagnose durch uns

Bei der Diagnostik chronischer Wunden kann die ABCDE-Regel hilfreich sein, welche die Initiative Chronischer Wunden (ICW) vorgeschlagen hat.

A: Anamnese

Die Diagnose chronischer Wunden beginnt immer mit dem Gespräch zu Ihrer Krankengeschichte. Folgende Fragen stehen unter anderem im Mittelpunkt:

  • Welche Symptome haben Sie aufgrund der Wunde bei sich festgestellt?
  • Wie stark sind die Beschwerden ausgeprägt?
  • Gibt es Situationen, in denen sich die Symptome verstärken, z.B. nachts oder bei Bewegung?
  • Seit wann haben Sie die offene Wunde?
  • Hatten Sie schon in der Vergangenheit Wunden, die sich nicht mehr verschlossen haben?
  • Sind Grunderkrankungen bei Ihnen bekannt, z.B. Diabetes, periphere arterielle Verschlusskrankheit, Krampfadern?
  • Leiden Sie unter einer Immunschwäche?
  • Rauchen Sie?
  • Wie steht es um Ihre Ernährungsweise?
  • Verbringen Sie viel Zeit im Sitzen oder Liegen?

Ihre Antworten verhelfen uns schon zu einer ersten Einschätzung.

B: Bakterien

Wir entnehmen bei Bedarf einen Abstrich aus der Wunde, die eine Labormedizinerin oder ein Labormediziner anschliessend unter dem Mikroskop auf Bakterien, Pilze und andere Keime untersucht.

C: Klinische Untersuchung

Dann sehen wir uns die Wunde genauer an. Wir beurteilen sie nach folgenden Kriterien und können dann auf die Ursache schliessen:

  • Wo befindet sie sich genau? (Lokalisationsmuster am Bein / am Fuss)
  • Wie gross und tief ist sie?
  • Wie sehen der Wundgrund, der Wundrand und die Haut in der Umgebung aus?
  • Wie ist sie gefärbt?
  • Verströmt sie einen auffälligen Geruch?
  • Nässt die Wunde und sondert Flüssigkeit ab? Wenn ja: Wie ist diese beschaffen?
  • Verursacht sie Schmerzen oder Juckreiz bei Berührung oder leichtem Druck?

Ausserdem sehen wir, ob sie sich infiziert und entzündet hat.

D: Durchblutung

Wir untersuchen die Venen und Arterien, um Rückschlüsse auf die Durchblutung im Bereich der Wunde ziehen zu können. Zur arteriellen Untersuchung gehört der Pulstastbefund und die Blutdruckmessung am Knöchel. Daraus errechnet sich der Knöchel-Arm-Index „ABI“. Zur venösen Abklärung gehört der Duplex-Ultraschall der oberflächlichen und tiefen Beinvenen.

E: Extras

Haben die bisherigen Untersuchungen keine aussagekräftigen Ergebnisse geliefert, kommen weitere Diagnosemethoden zum Einsatz. Welche das sind, hängt davon ab, welche Ursache wir vermuten.  Neben der Suche nach selteneren Ursachen im Blut kann eine Hautbiopsie vom Wundrand/Wundgrund, die in örtlicher Betäubung vorgenommen wird, aufschlussreich sein.

Chronische Wunden: Es gibt verschiedene Arten

Wir unterscheiden mehrere Arten von chronischen Wunden. Die wichtigsten sind:

  • Ulcus cruris („offenes Bein“): Die chronische Wunde bildet sich am Unterschenkel. Venöse und arterielle Durchblutungsstörungen sind für 80 Prozent dieser Wunden verantwortlich. Die verbleibenden 20 Prozent entstehen aus Entzündungen und Hautkrankheiten.
  • Diabetisches Fusssyndrom und etwas allgemeiner das neuropathische Fusssyndrom: Die meisten dieser Wunden befinden sich an den Fusssohlen, typischerweise unter den Knochenköpfchen des Vorfusses, oder an den Zehenkuppen, oder am Fuss-Aussenrand. Ein schlecht eingestellter Diabetes mellitus schädigt die langen motorischen und sensiblen Fussnerven, und verursacht als zweites Problemfeld die arterielle Versorgung der Peripherie, z.B. der Füsse.
  • Dekubitus: Ein Druckgeschwür, das sich durch langes Liegen oder Sitzen über dem Steissbein, den Hüftknochen, den Fersen, der oberen Wirbelsäulenabschnitte, und den Schulterblättern, bildet. Die Patientinnen und Patienten sind meistens mangelernährt und haben kein subkutanes Fettpolster mehr.

Chronische Wunden: Vorbeugen, Früherkennung, Prognose

Den meisten chronischen Wunden liegen eine oder mehrere Grunderkrankungen zugrunde. Diese müssen Sie ausreichend behandeln lassen, um chronischen Wunden vorzubeugen. Nicht jede akute Wunde muss sich zu einer chronischen Wunde weiterentwickeln – suchen Sie als Massnahme zur Früherkennung rechtzeitig Ihre Ärztin oder Ihren Arzt auf, wenn sich eine Wunde nach etwa vier Wochen nicht geschlossen hat.

Einige Tipps, wie Sie chronischen Wunden vorbeugen können:

  • Diabetes: Achten Sie auf einen gut eingestellten Blutzucker. Wählen Sie Schuhe, die nicht zu eng sitzen – sonst können Druckstellen entstehen. Aufgrund der Nervenschäden spüren Sie kleine Verletzungen und Wunden nämlich nicht. Gehen Sie regelmässig zur Fusspflege, denn Fachleute erkennen kleinste Wunden sofort. Der Besuch bei der Fusspflege dient also auch der Früherkennung. Ausserdem kennen Fusspflegende einige schützende Massnahmen, um Wunden erst gar nicht entstehen zu lassen.
  • Chronisch-venöse Insuffizienz (CVI): Kompressionsstrümpfe oder Kompressionsverbände (Bandagen) helfen, chronischen Wunden vorbeugen. Krampfadern sollten saniert werden. Heute kommen die meisten Krampfaderbehandlungen ohne Operation aus.
  • Antibiotika, Débridements und eventuell ein Vakuum-Verband helfen, eine stark infizierte Wunde zur Abheilung zu bringen.

Verlauf und Prognose bei chronischen Wunden

Der Verlauf und die Prognose hängen von der Ursache, Art und dem Ausmass der chronischen Wunde ab. Die meisten chronischen Wunden heilen ab, sobald die nötigen Gegenmassnahmen ergriffen wurden.

Chronische Wunden können einige Folgen nach sich ziehen, zum Beispiel:

  • Eine chronische Wunde ist den meisten Menschen sehr unangenehm, nicht nur wegen der Optik, sondern oft auch wegen des Geruchs. Manche ziehen sich in die eigenen vier Wände zurück und sind sozial isoliert – auch die Psyche leidet mit.
  • Die Schmerzen vermindern die Lebensfreude und die Lebensqualität. Zudem schränken sie die Beweglichkeit im Alltag ein und vermindern den Aktionsradius.
  • Schmerzen und Juckreiz treten oft nachts auf und rauben den Schlaf. Am nächsten Morgen fühlen sich viele müde und abgeschlagen.
  • Zudem belastet eine unverschlossene Wunde den Organismus und das Immunsystem zusätzlich zu der meist schon bestehenden Grunderkrankung.
  • In eine offene Wunde können Bakterien eindringen und Entzündungen auslösen. Es besteht die Gefahr, dass das Gewebe abstirbt. Ohne Behandlung können sich die Keime über die Blutbahn ausbreiten und es droht eine Blutvergiftung (Sepsis) – sie ist lebensgefährlich.
  • Manchmal ist eine Amputation einer Gliedmasse bei einer offenen Wunde unumgänglich.

Chronische Wunden: Behandlung mit mehreren Massnahmen

Chronische Wunden behandelt am besten ein Team aus Fachkräften, das auf die Wundbehandlung spezialisiert ist und viel Erfahrung damit hat. Die Behandlung zielt darauf ab, die Wundheilung zu fördern, die Lebensqualität zu verbessern und bei abgeheilten Wunden Rückfälle zu verhindern.

Die Therapie besteht aus einer Kombination von mehreren Massnahmen. Welche wir wählen, hängt von der Art, dem Ort und Ausmass der chronischen Wunde ab. Auch Ihr allgemeiner Gesundheitszustand spielt eine Rolle. Allgemein erfordert die Wundbehandlung oft viel Zeit und verlangt allen Beteiligten viel Geduld ab.