Craniomandibuläre Dysfunktion (CMD)

Kiefergelenkserkrankungen

Kiefergelenkserkrankungen fassen Zahnmedizinerinnen und Zahnmediziner heute unter dem Sammelbegriff „Craniomandibuläre Dysfunktion“ (CMD) zusammen. Dahinter verbergen sich verschiedenste Störungen der Zähne und des gesamten Kauapparates.

Die Symptome sind äusserst vielfältig und vielschichtig: Betroffene haben Schmerzen an verschiedensten Stellen, es knackt in den Kiefergelenken oder die Zähne sind abgeschliffen. Auch für Zahnärztinnen und Zahnärzte ist es daher nicht einfach, eine CMD zu diagnostizieren. Die Ursachen sind meist Zahnfehlstellungen, aber auch die Psyche spielt entscheidend mit. Kiefergelenksfehlstellungen sind gut behandelbar – meist ohne Operation. Aber auch ein chirurgischer Eingriff ist möglich, wenn alle anderen Therapien ausgeschöpft sind.

Überblick: Was ist eine craniomandibuläre Dysfunktion?

Bei Menschen mit Kiefergelenkserkrankungen ist die Funktion des Kiefergelenks, der Kaumuskulatur und manchmal auch der Muskulatur der Halswirbelsäule eingeschränkt. Zahnmedizinerinnen und Zahnmediziner haben dafür den Sammelbegriff „Craniomandibuläre Dysfunktion“ geprägt, der sämtliche Störungen und Krankheitsbilder umfasst. Er leitet sich so ab: „Cranium“ bedeutet Schädel, während „Mandibula“ den Kiefer meint. Die Fehlfunktionen liegen also im Bereich zwischen dem Schädel und Ober- und Unterkiefer. Beteiligt daran sind auch die Kiefergelenke sowie die Kau- und Nackenmuskulatur.

Craniomandibuläre Dysfunktion – Einteilung

Die craniomandibuläre Dysfunktion lässt sich – je nach Ursache – grob so einteilen:

  • Störungen in der Kau- und Nackenmuskulatur, die an der Bewegung des Kiefers beteiligt ist. Die Folgen sind Schmerzen, die nur bei Bewegungen (Kauen), aber auch dauerhaft auftreten können.
  • Gelenkveränderungen, entweder durch Gelenkverschleiss oder bestimmte Krankheiten: Beispiele sind Arthrose, verzögertes oder verstärktes Wachstum und chronische Entzündungen im Kiefergelenk. Diese Veränderungen können alle Strukturen des Kiefergelenks betreffen: Gelenkkapsel, Bänder, Knorpelscheibe (Diskus artikularis), Gelenkknorpel oder Knochen
  • Die Knorpelscheibe im Kiefergelenk (Diskus) liegt in der falschen Position oder ihre Beweglichkeit ist eingeschränkt.

Es können auch mehrere Störungen in Kombination auftreten, die sich gegenseitig verstärken. Dadurch erleben Betroffene oft sehr unangenehme Symptome – von Schmerzen in vielen Regionen des Körpers (Kopf, Schultern, Nacken, Rücken, Gelenke) über knackende Geräusche im Kiefergelenk bis hin zu Problemen beim Mundöffnen. Die Ursachen liegen oft in Zahnfehlstellungen, aber auch Stress und die Psyche sind wesentliche Mitspieler.

Die Diagnose „craniomandibuläre Dysfunktion“ erhalten Patientinnen und Patienten oft erst spät. Viele haben unzählige Besuche bei verschiedensten Ärztinnen und Ärzten hinter sich. Dies ist auch der Vielzahl an unterschiedlichen Symptomen geschuldet. Aber wenn die Diagnose steht, lassen sich Kiefergelenkserkrankungen gut behandeln. Häufig können Zahnärztinnen und Zahnärzte die Beschwerden ohne Operation lindern, zum Beispiel mit einer Schienentherapie (Aufbissschiene). Auch eine Physiotherapie kann hilfreich sein.

Craniomandibuläre Dysfunktion – Häufigkeit und Alter

Auch wenn die Craniomandibuläre Dysfunktion vielen als Krankheitsbild noch weitgehend unbekannt ist: Die Gesellschaft für Zahngesundheit, Funktion und Ästhetik (GZFA) schätzt, dass rund 20 Prozent der Bevölkerung unter einem CMD-Symptom leiden, das behandlungsbedürftig ist. In der Literatur sind aber noch höhere Zahlen zu finden: Die Häufigkeit der CMD wird auch mit rund 40 Prozent oder höher angegeben.

Die meisten betroffenen Personen verspüren Kopf- und Rückenschmerzen. Die CMD kann prinzipiell Menschen jeglichen Alters betreffen. Aber besonders jüngere Menschen leiden scheinbar zunehmend unter einer Fehlfunktion der Zähne, Kiefergelenke und Kaumuskulatur. Auch wer viel Stress in Alltag und Beruf hat, besitzt ein höheres Risiko für die craniomandibuläre Dysfunktion. In der heutigen Leistungsgesellschaft ist dies keine Seltenheit.

Craniomandibuläre Dysfunktion: Ursachen und Risikofaktoren

Die Ursachen für Kiefergelenkserkrankungen und die craniomandibuläre Dysfunktion können vielfältig sein. Meist sind mehrere Faktoren zugleich am Werk, wenn eine CMD entsteht. Die Grundlage für die Fehlfunktion sehen Fachleute in einer Verspannung der Kau-, Kopf- und Gesichtsmuskulatur, die am Kauvorgang beteiligt sind. Und diese hat wiederum verschiedene Ursachen und Gründe.

Craniomandibuläre Dysfunktion: Ursachen sind Zahnfehlstellungen

Bei manchen Menschen spielen die Zähne des Ober- und Unterkiefers nicht richtig zusammen. Sie greifen nicht nahtlos ineinander und der Biss stimmt nicht. Malokklusion oder „falsche Verzahnung“ sagen Zahnärztinnen und Zahnärzte dazu. Mögliche Gründe für Zahnfehlstellungen sind:

  • fehlerhafter, schlecht sitzender Zahnersatz, zum Beispiel Brücken, Kronen, Teilkronen
  • zu hohe oder niedrige Füllungen
  • Zahnlücken durch Zahnverlust
  • fehlerhafte kieferorthopädische Behandlung
  • Zähneknirschen (Bruxismus): Betroffene pressen ihre Zähne (meist nachts) mit hohem Druck aufeinander und knirschen. Dadurch nutzen sich die Zähne ab und verkürzen sich, wenn wir das Knirschen nicht behandeln. Aufgrund der nicht mehr vorhandenen Grübchen und Höcker auf den Zähnen greifen sie nicht mehr richtig ineinander.
  • Genetische Ursachen: Manchmal sind Zähne nicht angelegt und das Gebiss ist nicht normal ausgebildet, in manchen Familien kommt dies gehäuft vor.
  • Manchmal: Funktionelle Störungen der Wirbelsäule oder des Beckens, die sich auf die Zahn- und Kiefergelenksstellung auswirken können

Um diese Zahnfehlstellungen auszugleichen, verspannt und verkrampft sich die Muskulatur von Kauapparat, Gesicht und Kopf zunehmend. Dies kann in eine craniomandibulären Dysfunktion münden.

Kiefergelenkserkrankungen: Ursache kann auch Stress sein

Daneben können auch die Psyche, Stress und seelische Belastungen eine Rolle bei Kiefergelenkserkrankungen spielen. Wer im Alltag, Beruf, der Partnerschaft oder im Familienleben mächtig unter Druck steht, reagiert sich oft nachts im Schlaf beim Zähneknirschen ab. Manche pressen und knirschen sogar tagsüber mit ihren Zähnen, um Stress und Anspannung loszuwerden oder negative Gefühle und Situationen zu verarbeiten. Die Kaumuskulatur verspannt sich und eine craniomandibuläre Dysfunktion kann entstehen. Ist die CMD schon vorhanden, kann Stress die Symptome weiter verstärken und sie chronisch werden lassen.

Symptome: Craniomandibuläre Dysfunktion mit verschiedensten Anzeichen

Kiefergelenkserkrankungen und eine craniomandibuläre Dysfunktion können unzählige verschiedenste Symptome hervorrufen. Sie können den Bereich des Kopfs und Kauapparates betreffen, aber auch an anderen Stellen des Körpers in Erscheinung treten. Daher ist auch für uns die Diagnose einer CMD nicht ganz einfach. Manchmal stellen wir zunächst auch eine ganz andere Diagnose, denn Kopf- und Rückenschmerzen sind nicht zwangsläufig mit einem falschen Biss, den Zähnen oder dem Kiefergelenk in Verbindung zu bringen. Sie kommen bei vielen Erkrankungen vor.

Meist verspüren die Betroffenen Schmerzen aufgrund der Muskelverspannungen, die sich in vielen verschiedenen Bereichen des Körpers zeigen können – nicht nur am Kauapparat. Die wichtigsten Anzeichen, die auf eine CMD hindeuten können:

  • (Spannungs)Kopfschmerzen, Migräne
  • Schulter-, Nacken- und Rückenschmerzen
  • Zahnschmerzen
  • Empfindliche Zahnhälse, lockere und abgeschliffene Zähne, Zahnfleischrückgang
  • Schmerzen, Knacken oder Reiben in den Kiefergelenken
  • Probleme und Schmerzen beim Kauen, der Mund lässt sich nur eingeschränkt öffnen
  • Schluckbeschwerden, „Klossgefühl“ im Hals
  • Gesichtsschmerzen, Taubheitsgefühle im Gesicht
  • Muskel- und Gelenkschmerzen
  • Ohrenschmerzen, Ohrgeräusche (Tinnitus), Knacken im Ohr
  • Schwindel
  • Sehstörungen: Augenflimmern, Doppeltsehen
  • Schmerzen hinter den Augen, erhöhte Lichtempfindlichkeit

Diese Symptome können auch bei vielen anderen Krankheiten vorkommen. Es muss nicht zwangsläufig eine Kiefergelenkserkrankung dahinter stecken. Suchen Sie uns immer auf, wenn Sie mehrere solcher Symptome verspüren. Wir haben uns auf die Diagnostik und Therapie der CMD spezialisiert.

Craniomandibuläre Dysfunktion: Diagnose bei uns

Wir befragen Sie zunächst immer zu Ihrer Krankengeschichte (Anamnese). Folgende Aspekte sind für uns interessant:

  • Welche Symptome verspüren Sie?
  • Wie stark sind sie ausgeprägt?
  • In welchen Regionen des Körpers zeigen sich die Beschwerden?
  • Gibt es Situationen, in denen die Symptome besonders intensiv sind?
  • Sind Grunderkrankungen bei Ihnen bekannt?
  • Leiden Sie unter Zahn- oder Kiefererkrankungen?
  • Knirschen Sie mit den Zähnen?
  • Haben Sie viel Stress in Alltag, Beruf oder der Familie?

Diese und andere Fragen liefern uns schon erste Anhaltspunkte für die Diagnose. Dann folgt in der Regel eine sogenannte Funktionsanalyse, abgekürzt FAL. Sie deckt Funktionsstörungen der Zähne, Kiefergelenke und Kaumuskulatur auf. Es gibt verschiedenen Arten der Funktionsanalyse:

  • Wir prüfen zunächst mit unseren Händen den Zustand der Zähne und des Gebisses, tasten die Kaumuskulatur ab, stellen mögliche Geräusche im Kiefergelenk fest und testet, ob es Einschränkungen bei den Kaubewegungen oder dem Mundöffnen gibt.
  • Artikulator: Dabei kommt ein Kausimulator (Artikulator) zum Einsatz. Das Gerät simuliert die individuellen Zahnkontakte (Okklusion) und Bewegungen der Kiefergelenke. Eingesetzt werden Gipsmodelle des Unter- und Oberkiefers, die zuvor passgenau angefertigt wurden. So schliessen wir aus, dass Muskelanspannungen und Reflexe von Patienten und Patientinnen ein falsches Bild ergeben.
  • Magnetresonanztomografie (MRT = Kernspintomografie) der Kiefergelenke: Das Verfahren arbeitet mit starken Magnetfeldern. Die MRT liefert detaillierte Schnittbilder und zeigt die Anatomie und Position der knöchernen und weichen Strukturen des Kiefergelenks. So lassen sich Anomalien, Funktionsstörungen, Entzündungen oder Verschleiss aufdecken.
  • Computertomografie des Kopfes: Es werden mit Hilfe von Röntgenstrahlen scharfe, dreidimensionale Schnittbilder der Kieferknochen und -gelenke und Zähne erzeugt.
  • Röntgen des Ober- und Unterkiefers

Craniomandibuläre Dysfunktion: Vorbeugen, Früherkennung, Prognose

Spezielle Massnahmen zur Vorbeugung von Kiefergelenkserkrankungen gibt es nicht. Allerdings sind einige Faktoren bekannt, die als Auslöser einer craniomandibulären Dysfunktion gelten und die Sie selbst beeinflussen können. Dazu gehören allen voran Stress und psychische Belastungen im Job und Alltag. Ein gutes Stressmanagement kann daher eine Möglichkeit sein, um der CMD vorzubeugen.

Auch besondere Massnahmen zur Früherkennung einer CMD sind nicht bekannt. Allgemein gilt: Nehmen Sie regelmässige Vorsorgetermine bei Ihrer Zahnärztin oder Ihrer Zahnarzt wahr (zweimal pro Jahr). Sie können Probleme mit den Zähnen oder des Kauapparats frühzeitig erkennen. Und: Suchen Sie uns immer auf, wenn Sie Symptome verspüren, etwa Schmerzen in verschiedenen Körperregionen.

Verlauf und Prognose bei craniomandibulärer Dysfunktion

Der Verlauf und die Prognose bei Kiefergelenkserkrankungen und craniomandibulärer Dysfunktion sind in der Regel gut. Die Heilungschancen sind hoch, wenn wir die Erkrankung frühzeitig diagnostizieren und behandeln. Dann haben Sie gute Chancen, Ihre Beschwerden auch dauerhaft wieder loszuwerden. Allerdings müssen Sie ein wenig Geduld und Ausdauer mitbringen und bei der Therapie am Ball bleiben. Und Sie müssen an der Ursache ansetzen, etwa am Stress oder an seelischen Belastungen. Je länger die CMD besteht, desto höher ist die Gefahr für Folgeschäden an den Zähnen und dem gesamten Kauapparat.

Craniomandibuläre Dysfunktion: Behandlung gelingt meist ohne Operation

Die Behandlung der Kiefergelenkserkrankungen und craniomandibulären Dysfunktion hängt immer von Ursache ab. Das Krankheitsbild kann jedoch sehr komplex sein und es braucht manchmal Zeit, bis sich erste Erfolge einstellen. Sie benötigen also ein gewisses Durchhaltevermögen.

Wichtig ist immer, dass Spezialistinnen und Spezialisten verschiedenster Fachgebiete eng im Team zusammenarbeiten und die Behandlung gemeinsam austüfteln und durchführen. Der oder die erste Ansprechpartner/-in ist meist Ihre Zahnärztin oder Ihr Zahnarzt. Inzwischen gibt es Zahnmedizinerinnen und Zahnmediziner, die sich auf die Diagnostik und Behandlung der craniomandibulären Dysfunktion spezialisiert haben und besonders ausgebildet sind. Je nach Befund binden sie weitere Expertinnen und Experten mit ein, zum Beispiel aus der Physiotherapie und Psychologie oder ziehen Hals-Nasen-Ohren-Ärztinnen und Ärzte zu Rate.

Bei einem operativen Eingriff wird vom Institut für Anästhesiologie das individuell auf Sie angepasste Anästhesie-Verfahren ausgewählt.