Älteres Paar beim Joggen

Story

Wenn die weiblichen Organe im Becken tiefertreten

Zuletzt aktualisiert am 13. Februar 2024 Erstmals publiziert am 08. Februar 2024

Mit dem Alter können sich Blase, Gebärmutter und Darm senken. Die Folgen haben einen wesentlichen Einfluss auf die Lebensqualität der betroffenen Frauen.

Sabine spielte schon immer gerne Tennis. Nach ihrer Pensionierung ist sie häufiger auf dem Platz anzutreffen. Zunehmend mühsam findet sie allerdings den Urinverlust beim abrupten Stopand- Go im Spiel. Das kratzt an ihrem Selbstwertgefühl. Auch Anna sieht sich in ihrer Lebensqualität immer stärker eingeschränkt. Auf längere Wanderungen geht die ehemalige Lehrerin und Mutter von zwei erwachsenen Kindern nicht mehr. Sie empfindet es als sehr störend, beim Abstieg ständig das Gefühl zu haben, Wasser lassen zu müssen.

Veränderung nach den Wechseljahren

Für viele ältere Frauen stellt Inkontinenz im Alltag ein grosses Problem dar. «Die Häufigkeit einer Inkontinenz steigt mit zunehmendem Alter. Fast ein Viertel der über 60-Jährigen ist inkontinent», bestätigt Cornelia Betschart. Die Gynäkologin ist Leitende Ärztin in der Klinik für Gynäkologie und Leiterin des Beckenboden- und Kontinenzzentrums. Es sind zum einen Probleme mit den verschiedenen Arten der Inkontinenz, die auftreten können, aber auch mit Senkungen des Beckenbodens. Die Muskeln und Bänder können die Organe im Unterleib nicht mehr halten, Blase, Gebärmutter oder Darm senken sich. Betroffen sind häufig Frauen, die geboren haben. Spätfolgen können sich auch erst 30 Jahre nach einer Geburt einstellen.

Studien zeigen, dass bestimmte Muskeln die Organe vermutlich kompensatorisch zu halten vermögen. Mit der Veränderung der Hormone in und mit dem Alter können sich Blase, Gebärmutter und Darm senken. Die Muskeln, die bis dahin intakt geblieben waren und etwa die Blase gut halten konnten, lassen plötzlich nach.

Hilfreiches Beckenbodentraining

Frauen, die bei der Geburt ihrer Kinder älter als 35 waren, leider häufiger an diesen Spätfolgen. Selbst ein Kaiserschnitt schützt nicht gänzlich davor, denn eine Schwangerschaft drückt mit grossem Gewicht auf den Beckenboden. Das Kind, das Fruchtwasser, die Gebärmutter – zusammen sind das bis zu neun Kilo – drücken auf die Bänder. Je schwieriger eine vaginale Geburt gewesen ist, nach stundenlangem Pressen, einem Vakuum oder einer Zangengeburt, umso stärker ist der Beckenboden belastet.

Ein regelmässiges Beckenbodentraining kann helfen. Allerdings schaffen es viele Frauen nicht, dabei zu bleiben und die Übungen konsequent durchzuführen. Mit einer guten Physiotherapie könnten Frauen gerade bei Inkontinenz sehr viel erreichen, auch bei Senkungen, wenn diese nicht zu stark sind. Am USZ arbeiten Physiotherapeutinnen, Gynäkologinnen, Proktologen und Urologinnen interdisziplinär in einem Beckenboden-Board zusammen, wo sie die passende Therapie für ihre Patientinnen besprechen.

Senkungen häufig nach Wechseljahren

Nicht alle Frauen fühlen sich im Alter so eingeschränkt wie Sabine und Anna. Manchmal sehe sie Frauen mit abgesenkten Organen, die keinerlei Beschwerden hätten, sagt Cornelia Betschart. 50 Prozent der Frauen haben nach den Wechseljahren eine Senkung. Rund 18 Prozent lassen sich operieren. Studien aus Australien zeigen, dass es immer mehr werden. Das liegt vermutlich daran, dass Frauen heute auch im fortgeschrittenen Alter körperlich aktiver sind als früher. So benötigt fast jede fünfte Frau bis zum Alter von 80 Jahren eine operative Behandlung, um ihre Beschwerden zu lindern.

Aber lange nicht alle Beschwerden müssen mit einem operativen Eingriff enden. In einem ersten Schritt können auch Pessare helfen. Das sind Würfel, Ringe oder kleine Teller, die über die Scheide eingeführt werden. Sie können die Blase oder die Gebärmutter stützen. Bei Frauen wie Sabine reicht es vermutlich schon, wenn sie beim Tennisspiel ein entsprechendes Pessar nutzt. Andere Frauen hingegen wollen nicht ein Leben lang auf solche Mittel angewiesen sein, bei ihnen kann eine Operation helfen.

Schonende und individualisierte Eingriffe

Das Einsetzen eines Bandes oder eines speziellen Stoffes ist ein kleiner Eingriff, der rund 20 Minuten dauert und ohne Narkose erfolgen kann. «Die Eingriffe werden immer schonender und sind minimalinvasiv. Wir können dabei sehr individuell auf die Bedürfnisse der Patientinnen eingehen», sagt Cornelia Betschart. Manchmal erfolgt ein Eingriff ohne Schnitt über die Scheide, manchmal über eine Bauchspiegelung. Bauchschnitte braucht es keine mehr. «Es ist unser Ehrgeiz», erklärt die Ärztin, «dass wir am USZ die neuesten Techniken und Materialien einsetzen.»

Zahlreiche Forschungsprojekte

Im Bereich der Urogynäkologie wird am USZ auch Forschung betrieben. Ein Projekt untersucht Frauen, die gerade geboren haben. Die Forschenden wollen besser verstehen, ob Bänder oder Muskeln von den Belastungen der Geburt stärker betroffen sind. Gut versorgte äusserliche Geburtsverletzungen, etwa ein Dammriss, sind kein Problem. Zu Spätfolgen wie Inkontinenz oder Organsenkungen kommt es aber weiter oben im Becken. Die Studie untersucht, wie lange die Bänder vor der Geburt sind und danach. Andere Forschungsprojekte befassen sich mit Prädiktionsmodellen, um zu errechnen, wie gross die Wahrscheinlichkeit bei einer Frau ist, dass es bei ihr zu Organsenkungen kommt. Mit Erkenntnissen aus solchen Studien könnte man künftig Schwangere besser beraten, ist Cornelia Betschart überzeugt.

Zuständige Fachperson

Cornelia Betschart Meier, Prof. Dr. med.

Leitende Ärztin, Klinik für Gynäkologie

Tel. +41 44 255 53 26
Spezialgebiete: Weiterbildungskoordinatorin Schwerpunkttitel Urogynäkologie, Sprechstunde und Operationen, Laparoskopische Gynäkologie, Vulvasprechstunde